11.11.2024N. Bernhardt
Landrecht bricht Bundesrecht, Lektion: „tolerabel“
Die Bezirksvertretung Vohwinkel befaßt sich am Mittwoch (13.11.24) mit einem typischen Kuriosum, dem angeordneten Gehwegparken bei zu geringer Gehwegbreite. [1]
Die Vorlage folgt einem üblichen Muster: Zunächst wird festgestellt, daß zu einem Ratsbeschluß aus 1991 eine Gehwegbreite von zwei Meter verbleiben muß. Bereits hier wird verschwiegen, daß die bei der Planung von Straßen und Anordnung von Parken auf Gehwegen die verpflichtenden Vorschriften aus der „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ (RASt 06 [2]) anzuwenden sind. vergleiche Bild unten.
Abbildung: Einfache mathematische Rechenaufgabe zur Ermittlung der gesetzlichen Gehweg-Mindestregelbreite. Pro Person sind 80 cm anzusetzen, nach Tabelle 4 RASt für bestimmte Personen auch mehr [3]. Im konkreten Fall mit Parken am Gehwegrand bedeutet dies, daß eine Anordnung von Gehwegparken nur dann infragekommt, wenn die für Fußgänger nutzbare Gehwegbreite mindestens 220 cm beträgt.
Im nächsten Schritt wird zwar die mangelhafte Gehwegbreite von „über einem Meter“ eingeräumt, dann aber „aus straßenentwurfstechnischer Sicht“ für „nicht optimal aber tolerabel“ erklärt. Die Verwaltung sieht „aufgrund der Abweichung keinen Bedarf, die bestehende Parkregelung abzuändern.“
Übersetzt bedeutet das: Die gesetzlichen Vorschriften sind uns völlig schnuppe, wir tolerieren Landrecht. Dann braucht sich niemand mehr zu wundern, wenn Autofahrer Gehwegparken bei etwas über einem Meter Restbreite selbst anordnen, denn die Verwaltung hält es an der Buchenhofener Straße ja selbst für „tolerabel“.
Baum freut sich über die kuschelige Beparkung
Durch das Beparken der Baumscheiben bis zum Baumstamm verdichtet sich der Boden: Die Belüftung verschlechtert sich, er wird undurchlässiger, weniger Niederschlagswasser kann einsickern, Nährstoffzufuhr erheblich beeinträchtigt.
Bäume und Sträucher filtern Feinstaub und verbessern durch Verdunstung und Sauerstoffproduktion die Stadtluft, halten in ihrem Schatten die Autos und Straßen kühl und bieten Refugium und Nahrung für Vögel und Kleinsäuger. Daher sollte es Sinn und Zweck sein, diesen Bereich sinnvoll zu bepflanzen und nicht zu beparken. Auf diesen Aspekt geht die Vorlage überhaupt nicht ein.
In Berlin untersagt die Baumschutzverordnung das Parken auf Baumscheiben. In Wuppertal hat man die Baumschutzsatzung hingegen vor Jahren ersatzlos gestrichen.
Unter dem Strich führt die neue Leitung von 104 die gleiche Politik weiter. Nur der Name unter der Vorlage ist ein anderer.
Verweise, Hinweise, Quellen
[1] VO/1230/24: Aufhebung des Verkehrszeichens 315 (Gehwegparken) vor Buchenhofener Straße 1,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=32497
[2] Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen, Wikipedia,
https://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinien_f%C3%BCr_die_Anlage_von_Stadtstra%C3%9Fen
Die RASt ist vom Landesverkehrsministerium per Einführungserlaß für Straßenverkehrsbehörden in NRW verbindliche Planungsvorgabe.
[3] Beispiele:
blinde Person mit Langstock oder Führhund: 120 cm,
Person mit Rollstuhl: 110 cm,
Person mit Kinderwagen: 100 cm.
Weiter mit:
Die BV hat die Vorlage der Verwaltung, die Parkplätze beizuhalten, mit großer Mehrheit abgelehnt. Herzlichen Dank für den konstruktiven Entscheid.
Für die Anordnung von Gehwegparken – um das es hier ausschließlich geht – hat die Straßenverkehrsbehörde als die zuständige Behörde die jeweils gültige StVO zu beachten, Stichwort: Verkehrsschau.
Selbst wenn diese Verkehrsschauen „eher seltener“ (Wikipedia) als alle zwei Jahre durchgeführt werden, sollte die zuständige Straßenverkehrsbehörde bei Kenntnis irreguläre verkehrsrechtliche Anordnungen aufheben und nicht mit Gewohnheitsrecht verteidigen.
Wie die Vorlage korrekt zitiert, erlaubt die VwV-StVO den Behörden die Anordnung von Gehwegparken nur dann, wenn ausreichend Platz für Fußgänger im Begegnungsverkehr vorhanden ist. Die Definition dazu liegt aber nicht im Ermessen („Bauchgefühl“) der Behörde, sondern ist in den Richtlinien wie RASt und EFA definiert. Diese sind „„aktuelle und spezifische wissenschaftliche Erkenntnisquellen und geben den Stand der Technik wieder.“ (VG Braunschweig, Urteil vom 16. April 2013, 6 A 64/11)
Was ist mit dem Ratsbeschluß von 1991, zwei Meter Gehwegbreite? Das heißt doch, daß die Verwaltung auf Ratsbeschlüsse pfeift, die ihr nicht in den Kram passen. Verkehrsteilnehmer mögen bitte Rücksicht auf eine Behörde nehmen, weil die politisch motivierte Anordnungen trifft (vgl. „Legal, illegal, Friedrichstraße“) und es für „tolerabel“ hält, wenn Fußgänger wegen des hohen Parkdrucks auf die Fahrbahn ausweichen müssen, Radfahrer von entgegenkommenden Bussen oder Fußgänger von Rad- und Scooterfahrern auf dem Gehweg überfahren werden.
Dies ist alles nicht im Sinne der Straßenverkehrs-Ordnung. Dort steht etwas von Sicherheit und Leichtigkeit im Verkehr, von Vision Zero. Das Prinzip ist gegenseitige Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer untereinander, nicht gegenüber unfähigen oder unwilligen Behörden.
Gehwegparken ist ja seit 70 Jahren „tolerabel“, daher ist es ja so in den Köpfen der Leute. Autofahrer hupen schon Scooterfahrer an und gestikulieren wild, man möge mit dem Zweirad doch bitte den Gehweg benutzen. Weil: es ist ja schon Usus. Wo das wohl hinführt?
Die RASt 06 ist eine Planungsrichtlinie. Sie gilt, wenn eine Straße neu oder umgebaut wird – nicht rückwirkend für alle Straßen im Bestand. Sonst hätte die Stadt bei jeder Änderung der Richtlinie viel Spaß…
Da außer den 4 Pkw auch noch ein Baum auf dem Gehweg parkt, wird man wohl sowieso nicht auf die 2,20 m Breite kommen, oder?