Landrecht bricht StVO: Fahrradstraßen Wuppertal

Eine Fahrradstraße für alle, bitte!

Fahrradstraßen sind laut Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) dem Radverkehr vorbehalten und sollen diesen nach dem obersten Prinzip der Sicherheit und Flüssigkeit bündeln. In Wuppertal sind aber ausnahmslos alle Fahrradstraßen per Zusatzzeichen für sämtliche anderen Verkehrsteilnehmer freigegeben.

Für Kraftfahrer gelten nur die Schilder „Einbahnstraße“, und das heißt für sie „Vorfahrt“.

Diese Dauer-Extrawurst macht nicht nur den Radverkehr unsicher, sondern dank der für den fließenden Verkehr „großzügigen“ Bemessung der sogenannten Fahrgasse von 3,05 Meter – also das absolut gesetzliche Mindestmaß – auch weitere Anordnungen wie Einbahnstraßenregelung (Luise, Friedrich) oder „Anlüger frei“ (Tönniesstraße) für den KFZ-Verkehr notwendig.

Das Ergebnis sieht man wie auf dem Bild oben: Nicht wenige Autofahrer denken aufgrund der Einbahnstraße, der Gegenverkehr aus der „falschen“ Richtung – hier der Radverkehr – wäre nachrangig. Ergo wird trotz Hindernissen nach Landrecht auf der eigenen Seite in die Engstelle gefahren – denn letztlich muß der Radfahrer selbst nach StVO weichen, weil sein „Fahrzeug“ am beweglichsten ist. [1]

Die Wert der „Fahrradstraße“ wird damit auf eine rein politisch motivierte Show reduziert.

Auf den Bannern, die die Stadt Wuppertal zu neuen Fahrradstraßen aufstellt, wird folgendes behauptet:

Auf dem Plaket wird behauptet, Radfahrer hätten in einer Fahrradstraße grundsätzlich oder automatisch Vorrang. Das ist Unsinn.

Da steht, Radfahrer hätten in der Fahrradstraße – grundsätzlich? automatisch? – Vorrang. So wie Fußgänger in der Fußgängerzone? Das ist Unsinn. Das Verwaltungsgericht Hannover hat in einer Pressemitteilung vom 17. Juli 2019 einzeln aufgedröselt, daß von den ganzen Punkten, die in der Anlage 2 (zu § 41 Absatz 1 StVO) zu Zeichen 244.1 „Fahrradstraße“ aufgeführt sind, außer „Tempo 30“ und „Radfahrer dürfen nebeneinander fahren“ nichts mehr übrig bleibt. Und selbst zu diesen beiden Punkten heißt es gemünzt auf Wuppertal:

Tempo 30 ist redundant, weil die „Fahrradstraße“ in der Luisenstraße und der (Neuen) Friedrichstraße selbst innerhalb einer Tempo-30-Zone liegen. Das Nebeneinanderfahren ist schlicht nicht möglich, weil ein Begegnungsverkehr auf drei Meter Breite wie in unseren „Fahrradstraßen“ zwischen Kfz und entgegenkommenden Fahrrädern unter Beachtung der notwendigen seitlichen Sicherheitsabstände viel zu eng ist.

Und: „Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Fahrbahnbenutzung und über die Vorfahrt.“

Daher müßte der Banner eher lauten (mit einem Foto der „Fahrradstraße“ Friedrichstraße):

Die politisch motivierte Fahrradstraße entspricht der Tempo-30-Zone, weil sich aufgrund der schmalen Fahrgasse Radfahrer ihr Recht auf Nebeneinanderfahren in die Haare schmieren können.

In der Hannoveraner Pressemitteilung heißt es weiter*: „Die Anordnung einer Fahrradstraße mit enger Fahrgasse bei gleichzeitiger Zulassung gegenläufigen Kraftfahrzeugverkehrs beseitigt keine Gefahrenlage, sondern verschärft sie. Das Erfordernis für Kraftfahrzeugführer, wegen des Behinderungsverbots erforderlichenfalls eine längere Strecke zurückzusetzen, bis eine Ausweichmöglichkeit gefunden ist, entspricht nicht dem Erfordernis der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, insbesondere wenn von hinten weitere Radfahrer nahen.“

Das, meine Damen und Herren, sind die „Fahrradstraßen“ in Wuppertal.

Quellen und Fußnoten:

* Anwohnerklage gegen Fahrradstraße erfolgreich, Verwaltungsgericht Hannover,
https://www.verwaltungsgericht-hannover.niedersachsen.de/aktuelles/pressemitteilungen/anwohnerklage-gegen-fahrradstrasse-erfolgreich-178893.html

[1] 40 Minuten Stillstand in Fahrradstraße – „Beim 1001. Mal ist Schluss“, RND,
https://www.rnd.de/panorama/40-minuten-stillstand-in-fahrradstrasse-beim-1001-mal-ist-schluss-5MLFWFM2W3QIDWXUWSZ24YVMLQ.html

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Kommentare

  1. Susanne Zweig sagt:

    Radfahrer haben in Fahrradstraßen analog das gleiche Vorrangrecht wie Fußgänger in Fußgängerzonen.

    Das steht so in der StVO (Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 Nr. 23) : „2. (…) Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden.“

    Und das wird vom Gericht in Hannover auch als „besonderes Behinderungsverbot“ bestätigt: openjur.de/u/2207316.html (Satz 66)

    Tut mir leid, in diesem Punkt haben Sie mich nicht überzeugt.

  2. N. Bernhardt sagt:

    Natürlich wissen die Verkehrsplaner das. Das sind studierte Leute und keine Praktikanten (hoffentlich). Ein Verkehrsteilnehmer darf einen anderen ohnehin nicht gefährden, § 1 (2) StVO. Imgrunde gilt zu Zeichen 244.1 lediglich Nr. 4: „Im Übrigen gelten die Vorschriften über die Fahrbahnbenutzung und über die Vorfahrt.“ – Also: rechts-vor-links, sofern nicht explizit etwas anderes angeordnet wurde, und die allgemeinen Regeln des Parkens.

    1. Susanne Zweig sagt:

      In der Fahrradstraße müssen andere Fahrzeuge Radfahrern ausweichen, wenn sie kommen. Nicht umgekehrt. Das ist der Unterschied zu §1 (2) StVO.

      1. N. Bernhardt sagt:

        Nö. Das Gericht stellt zunächst fest, daß der einzige Unterschied zwischen einer Tempo-30-Zone und der Fahrradstraße das Nebeneinanderfahren-dürfen der Radfahrer ist. Und stellt dann fest, daß das bei einer Fahrgasse von 3,0 Meter gar nicht möglich ist, weil entgegenkommende Autofahrer dann eben 100 oder 200 Meter rückwärtsfahren müßten, um Platz zu machen. Das Gericht kommt dann zu dem Schluß, daß von den vier Punkten, die zum Zeichen Fahrradstraße im Verkehrszeichenkatalog stehen, null und nichts übrigbleibt und daher die Anordnung einer „Fahrradstraße“ innerhalb einer bestehenden Tempo-30-Zone unzulässig ist.

        Das Zeichen 244.1 „Fahrradstraße“ macht zum Thema Vorrang und Vorfahrt keine besonderen Regeln. Es gilt für Radfahrer wie andere Fahrzeugführer gemeinhin der allgemeine Grundsatz „rechts vor links“ (§ 8 (1) StVO) und betreffend Engstelle ist derjenige wartepflichtig, der das Hindernis auf seiner Seite hat, § 6 StVO.

        Im Gegensatz dazu ist z.B. der Vorrang für Fußgänger im Fußgängerbereich (Zeichen 242.1) ausdrücklich geregelt.

        1. Susanne Zweig sagt:

          Um Vorfahrt an Kreuzungen geht es nicht, sondern um den Punkt „Behinderung“.
          Und dazu ist das VG anderer Meinung:
          „Die streitbefangene straßenverkehrsrechtliche Anordnung stellt eine Beschränkung des Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO dar, da die Kehrseite der Anordnung einer Fahrradstraße die Einschränkung des Kraftfahrzeugverkehrs durch das besondere Behinderungsverbot ist (vgl. Nummer 23 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO; vgl. wohl auch VG Berlin, ibid., Bl. 5)“
          Auf Deutsch: Autofahrerrechte werden in Fahrradstraßen eingeschränkt, weil Radfahrer (mehr als in Normalstraßen) in ihrer Fahrt nicht behindert werden dürfen. Und das betrifft meiner Meinung nach auch Engstellen, sonst wäre es kein „besonderes“ Behinderungsverbot.

          1. N. Bernhardt sagt:

            Nummer 23 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO ist nichts anderes als das Ge- oder Verbot zum Zeichen 244.1 Fahrradstraße:. also die vier Punkte, die in der Pressemitteilung aufgelistet sind.

            Nr. 1 (Verkehrsverbot für andere Fahrzeugführer als Radfahrer) fällt mit der Freigabe für Kfz weg.
            Nr. 2 (20 km/h Limit) ist identisch mit der Tempo-30-Zone.
            Nr. 3 soll Radfahrern das Recht einräumen, nebeneinander fahren zu dürfen. Je Radfahrer ist dabei gem. ERA und RASt 1,0 Meter Breite anzusetzen. Zwei nebeneinander fahrende Radfahrer sind also 2,0 Meter breit. Nun kommt ein Auto oder zwei nebeneinander radelnde Radfahrer entgegen.
            Der westliche Teil der Kleefelder Straße in Hannover ist aber nur 3,0 Meter breit. Die Fahrgasse der Luisenstraße ist nur 3,0 Meter breit. Die Fahrgasse der (Neuen) Friedrichstraße ist neben Parkständen nur 3,0 Meter breit. Die Fahrgasse der Tönniesstraße ist nur 3,0 bis 3,5 Meter breit.
            Sie Radfahrer können also gar nicht nebeneinander fahren, weil es für Kraftfahrer unpraktisch und zudem gefährlich ist, zum Teil über hunderte Meter zurücksetzen zu müssen, insbesondere wenn von hinten weitere Fahrzeuge nahen.

            Es bleibt Nr. 4: Es gelten die allgemeinen Vorschriften der StVO. Wunderbar: dann können wir die zusätzlichen Schilder „Fahrradstraße“ abhängen, denn die Kleefelder, Luisen- und (Neue) Friedrichstraße befinden sich alle innerhalb eines Tempo-30-Bereiches, wenn man mal von der Einmündung Karlstraße absieht.

            Wie eingangs im Artikel geschildert, haben offenbar einige Kraftfahrer bereits mit den allgemeinen Regeln Probleme wie in der irrigen Annahme, sie hätten in der Einbahnstraße in der „richtigen“ Fahrtrichtung Vorrang vor entgegenkommenden Radfahrern aus der „falschen“ Richtung.

            Das andere ist die Tatsache, daß man sich den Tag rot im Kalender anmalen kann, an dem ein Autofahrer trotz Hindernissen auf seiner Seite und Radfahrer im Gegenverkehr nicht stur in die Engstelle fährt, obwohl er nach StVO wartepflichtig ist.

            Wenn ich als Straßenverkehrsbehörde unter diesen Vorzeichen bei einer Fahrgasse von unter 4 Metern eine Fahrradstraße anordne, ist mir der oberste Grundsatz der StVO der Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs entweder völlig egal, oder die verkehrsgefährdende Entscheidung kommt „von oben“.

  3. Susanne Zweig sagt:

    Am „Vorrangrecht“ für Radfahrer in Fahrradstraßen hat das VG Hannover grundsätzlich nichts ausgesetzt, nennt es aber treffender ein „Behinderungsverbot“.

    Von „Vorrang“ steht in der StVO bei Fahrradstraßen nichts, sondern nur: „Der Radverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden“. Den Satz findet man sinngemäß auch beim erlaubten Befahren von Gehwegen oder Fußgängerzonen (Zusatz: „sonstwer frei“), wo Fußgänger in dem Sinne Vorrang haben.

    Dieses Behinderungsverbot sieht das VG nur im konkreten Fall in Hannover durch die viel zu schmale Kleefelder Straße konterkariert, in der Kfz ggf. über 100 Meter zurücksetzen müssten, um entgegenkommendem Radverkehr regelkonform auszuweichen. Das Behinderungsverbot ist also mit dieser Straßenbreite gar nicht umsetzbar, und die Verkehrsplaner haben das von vornherein wissen müssen.

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