24.12.2023N. Bernhardt
Legal, illegal, Friedrichstraße?
Mitte der 90er-Jahre wurde der Abschnitt der Friedrichstraße zwischen Neumarkt und Karlstraße verkehrsberuhigt. Darunter verstehen Verkehrsplaner die Ausweisung als Fußgängerzone, als verkehrsberuhigter Bereich („Spielstraße“), oder mittels Tempolimit und Durchfahrverbot als „verkehrsberuhigter Geschäftsbereich“.
Die Stadt Wuppertal entschied, den Abschnitt als Fußgängerzone (Zeichen 242.1 StVO) auszuweisen. Dort haben nach den Buchstaben der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) Fußgänger absoluten Vorrang und Fahrzeuge nichts zu suchen. Ist per Zusatzzeichen anderer Verkehr zugelassen, muss dieser Schrittgeschwindigkeit fahren. Diese Ausnahmen sind jedoch nur zulässig, solange der grundlegende Charakter der Fußgängerzone erhalten bleibt.
Das Straßenverkehrsamt der Stadt machte von den Ausnahmen reichlich Gebrauch, unter anderem für den gesamten Linienverkehr der Stadtwerke (WSW). Dieser sollte vorgeblich auch noch 25 km/h fahren dürfen. Freilich betrug das Tempo aller Fahrzeuge etwa 25 km/h, offenkundig ohne je (wirkungsvoll) beanstandet worden zu sein.
Petitionsausschuss schaltet sich ein
Wuppertals Vorzeige-Fußgängerzone beschäftigte auch den Petitionsausschuss des Landtages (Geschäftszeichen: I.3/16-P-2014-08313-00 ). Dieser schrieb dazu Anfang Februar ’15:
»Der als Fußgängerzone ausgewiesene Abschnitt der Wuppertaler Friedrichstraße zwischen Neumarkt und Wilhelmstraße ist für eine Vielzahl von Kraftfahrzeugen freigegeben (Linienbusse, Taxen, Anliegerverkehre, Hotelverkehre, Liefer- und Ladeverkehr, etc.). Die bauliche Gestaltung der Friedrichstraße mit in Längsrichtung angelegten Verkehrsflächen, Parkplätzen und Sperrpfosten wirkt geschwindigkeitsfördernd. Der Eindruck eines geschwindigkeitsreduzierten Fußgängerbereichs wird nicht vermittelt. Die Ausschilderung als Fußgängerzone entspricht daher nicht den straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung und ist aus Sicht der Fußgänger verkehrssicherheitsgefährdend.«
Ausweisung als Fußgängerzone war illegal
Mit anderen Worten: Nicht nur die unzähligen Ausnahmen waren für die Fußgängerzone illegal, sondern auch die bauliche Gestaltung des Abschnitts als „Rennstrecke“ mit Fahrbahn, Seitenstreifen und Gehwegen. Aufenthaltsqualität? Sicherheit für Fußgänger? Nicht bei uns.
Am 2. Oktober ’15 fand ein Gespräch zum Thema im Verkehrsministerium in Düsseldorf statt mit Vertretern des Ministeriums, der Bezirksregierung Düsseldorf und der Stadt Wuppertal. Dort wurde festgestellt, dass zu keiner Zeit rechtliche Hürden bestanden, die Fußgängerzone in eine der eingangs erwähnten sonstigen verkehrsberuhigten Maßnahmen umzuwandeln. Konkret: Weder in den Förderrichtlinien, noch in den Zuwendungsbescheiden wurde die Ausweisung einer Fußgängerzone festgelegt. Amtlich war die Umwandlung als verkehrsberuhigter Geschäftsbereich (heutiger Zustand) „nicht förderschädlich“.
Das Totschlagargument „Ansprüche auf Rückzahlung“ erweist sich als haltlos
Dies ist insofern bemerkenswert, weil als Totschlagargument gegen jede Veränderung insbesondere gegenüber der Bezirksvertretung Elberfeld (BV) stets behauptet wurde: „Durch die straßenrechtliche Erweiterung der Widmung und somit verbundenen Änderung der Rechtslage könnten die Grundstückseigentümer Ansprüche auf Rückzahlung der seinerzeit geleisteten Beiträge geltend machen.“ (Zitat aus VO/3475/04, behandelt in der Sitzung der BV Elberfeld am 19. Januar 2005, seltsamerweise nicht im Ratsinformationssystem auffindbar¹). Die BV befasste sich zig Mal mit der Friedrichstraße, ob nun wegen Zufahrten für Kunden der Geschäfte, Behindertenparkplätze oder zum Thema Sicherheit der Fußgänger, weil „man sich nicht einmal die Schuhe zubinden kann, ohne angehupt zu werden.“
Butter ums Maul geschmiert
Nicht nur den Bezirksvertretern wurde Butter ums Maul geschmiert. So wird in VO/0220/16² mit der Formulierung, „dass der jetzige Ausbauzustand nicht mehr der aktuellen Rechtslage entspricht“, der Eindruck erweckt, der Abschnitt der Friedrichstraße wäre einst als Fußgängerzone geeignet gewesen. Dies ist natürlich nicht der Fall, denn die in den 1960ern eingerichteten Fußgängerzonen in Elberfeld und Barmen verfügen weder über Parkplätze, noch über Gehwege. Es kam dort auch niemand auf die Idee, Linienbusse einzusetzen.Vielmehr ist der gesamte Straßenbereich von der einen zur anderen Hauswand als eine sog. Mischfläche angelegt, Fußgänger können die gesamte Straßenbreite nutzen.
Dem Fußgänger wurde auf Nachfrage vom städtischen Amt 104 erzählt: „Die Linienbusse der Wuppertaler Stadtwerke AG sind aufgrund einer bestehenden Ausnahmegenehmigung gemäß 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO berechtigt, diesen Bereich der Friedrichstraße im Rahmen der Personenbeförderung schneller als mit Schrittgeschwindigkeit zu befahren. Die Fahrgeschwindigkeit ist hierbei der Jeweiligen Verkehrssituation, Insbesondere dem Fußgängeraufkommen, anzupassen und darf 25 km/h in keinem Fall überschreiten.“ – Bedauerlicherweise hat man (erst) während des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht festgestellt, dass die behauptete Ausnahme für die Fußgängerzone nie existierte. Vielmehr war den Stadtwerken für eine Pilotphase vor Einrichtung der Fußgängerzone eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden, die bei Ausweisung der Fußgängerzone auslief.³
Nebenbei bemerkt ist der in VO/0220/16 erwähnte Runderlass vom 11. Juni 1986 des Verkehrsministers spätestens seit 2003 aufgehoben⁴. Dieser war jedenfalls keine Ermächtigungsgrundlage für die Straßenverkehrsbehörde für die Erhöhung der höchstzulässigen Geschwindigkeit auf 25 km/h in der Fußgängerzone. Die StVO schreibt dort Schrittgeschwindigkeit vor, weil nur so das sofortige Anhalten des Fahrzeugs gewährleistet ist. Wenn Eltern ihre Kinder in der Friedrichstraße ständig festhalten müssen, ist diese Sicherheit nicht gewährleistet.
Akt 2: die gegenläufige Freigabe des Abschnitts für den Radverkehr ist nicht legal, aber politisch gewollt
Sinn der Freigabe von Einbahnstraßen für Radfahrer gegen Einbahn ist der Versuch des Gesetzgebers, die verkehrswidrige Benutzung der Gehwege durch Radfahrer zu verhindern. Doch in dem Abschnitt der Friedrichstraße ist dies gar nicht rechtlich möglich (zumindest nicht ohne der baulichen Einrichtung eines Radwegs). Ein entsprechender Vorschlag wurde mit der zutreffenden rechtlichen Begründung in VO/1033/16 abgelehnt⁵:
„Nach der Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 220 [Anm. d. Verf.: Einbahnstraße] Straßenverkehrsordnung (StVO) und der Empfehlung für Radverkehrsanlagen, eignen sich solche Einbahnstraßen, die eine Breite von 3m aufweisen. Bei Linienbusverkehr oder starkem LKW-Verkehr muss die Fahrgassenbreite 3,50m betragen.
Die Friedrichstraße wird stark von Linienbussen und Lastkraftwagen frequentiert. Da die Fahrgassenbreite der Friedrichstraße unter der erforderlichen Breite von 3,50m liegt, ist die Freigabe schon aus diesem Grund für den Radverkehr abzulehnen.“
Die „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung“ in amtlich-lang und „VwV-StVO“ in amtlich-kurz ist eine für Verkehrsplaner und insbesondere Straßenverkehrsbau- und –verkehrsbehörden verbindliches Werk, das von einem technischen Regelwerk ergänzt wird. Zu diesem gehören Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (kurz ERA).ᴮ Während sonst die Krümmung jeder Banane EU-weit vorgeschrieben wird, findet sich in der VwV-StVO zur Freigabe von Einbahnstraßen (Zeichen 220 StVO) lediglich ein Maß: wenn eine Straße in Gegenrichtung für Radverkehr freigegeben werden soll, muss bei dort verkehrenden Bussen die Fahrbahnbreite mindestens 3,5 Meter betragen. Der Seiten- oder Parkstreifen gehört regelmäßig nicht zur Fahrbahn, § 2 Absatz 1 StVO.
Aber was kümmert uns VO/1033/16 von gestern, wenn wir die tolle Friedrichstraße nördlich der Karlstraße zur Fahrradstraße „umgestalten“, VO/1130/18?⁶ Politik und Verwaltung setzen sich mit Beschluss von VO/0336/20⁷ über die geltende Rechtslage hinweg und beschließen, mit Radverkehr in Südrichtung und entgegenkommendem Busverkehr eine zusätzliche Gefahrenlage zu schaffen. Nicht nur wird damit der eingangs erwähnte Zweck der gegenläufige Freigabe torpediert, mit diesem Coup kassiert Wuppertal den Silberner Pannenflicken 2021/2022 der Initiative Cycleride.⁸
Die gegenseitige Rücksicht aus § 1 StVO bezieht sich auf Verkehrsteilnehmer, nicht auf politischen Willen
Die gegenseitige Rücksicht aus § 1 der Straßenverkehrs-Ordnung bezieht sich normspezifisch auf Verkehrsteilnehmer untereinander – nicht jedoch auf Politiker oder Verkehrsplaner, die angesichts politischem Willen oder aus Platzmangel völlig ungeeignete, teils hirnrissige straßenverkehrsrechtliche Anordnungen treffen.
Die Fahrradstraße für Alle (Autos, Fußgänger…)
In dem als „Fahrradstraße“ ausgewiesenen Teil der (Neuen) Friedrichstraße entspricht dies dem Hinweis, das Parken sei in den gekennzeichneten Bereichen gestattet. Lt. StVO ist das Parken in Fahrradstraßen außerhalb der gekennzeichneten Bereiche nicht verboten. Dazu bedarf es der Anordnung von Haltverboten, die gibt es im Bereich der Fahrradstraße außerhalb gekennzeichneter Parkmarkierungen aber nicht.
Im Vergleich zu Tempo-30-Zonen in Wohngebieten ist der einzige praktische Unterschied zur Fahrradstraße, dass Radfahrer nebeneinander fahren dürfen. In dem als „Fahrradstraße“ ausgewiesenen Teil der Luisenstraße ist das Nebeneinanderfahren in der Regel nicht möglich. Einmal beträgt die nutzbare Fahrbahnbreite 3,0 Meter, zudem die Straße ist wegen des starken Fußverkehrs eher als verkehrsberuhigter Bereich geeignet. Jeder Vorschlag dahingehend wird freilich blockiert.⁹
Fahrradstraßen dürfen nur angeordnet werden, wenn sie eine bindende, also verkehrslenkende Wirkung entfalten und so geeignet sind, den Kraftverkehr zu verdrängen; VG Karlsruhe, Urteil vom 24.05.2022 – 14 K 964/21.ᴬ In der „Anlieger frei“- und „Fahrradstraße“ Tönniesstraße, die weitab von und hoch über jeder Bahntrasse mit Steigungen von über 12 Prozent aufwartet, ist äußerst zweifelhaft, ob diese je eine Bindungswirkung entfalten kann. Durch das Verbot der Einfahrt (Zeichen 250 mit Zusatz „Anlieger und Radfahrer frei“) ist die Straße zudem für E-Scooter tabu, das Radsymbol gilt für nur für Radfahrer.
Die Befreiung der Hünefeldstraße von den Hochbordradwegen ist der nächste Coup. Radfahrer werden hier bei 800 Fahrzeugen pro Spitzenstunde und rund 4,5 Meter Fahrbahnbreite in den Gegenverkehr geschickt – eine offenkundig rein politisch motivierte „Radfahrerverängstigungstrategie“. Im Widerspruch dazu lesen wir in den „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ᴮ als verbindliches technisches Regelwerk etwas von „Verkehrssicherheit“ sowie „Wahl von Führungsformen mit geringem Unfallrisiko, hoher Akzeptanz und guter Begreiflichkeit“. Lt. Abschnitt 7.2 kommt ab 400 Fahrzeuge pro Stunde ein Schutzstreifen entgegen Einbahnrichtung infrage, wofür die Fahrbahnbreite aber nicht ausreicht (1,5 m Schutzstreifen + 0,5 m Sicherheitsraum zu Längsparkständen + 3,75 m Fahrbahn für Kfz = >4,5 m).
Auch am Hardtufer lassen sich mangels Platz keine zwei Radfahr- bzw. Schutzstreifen einrichten – die Lösung ist die für allen und jeden freigegebene Fahrradstraße für die nahe Zukunft.
“Vision Zero“ oder „Zero Vision“?
In der Verwaltungsvorschrift zur StVO steht einleitend: „Oberstes Ziel ist … die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die „Vision Zero“ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“ Vielleicht verwechselt man in Wuppertal „Vision Zero“ mit „Zero Vision“, einer Denke von der Tapete bis zur Wand.
Fußnoten/Quellen
1) VO/3475/04, Sitzung der BV Elberfeld am 19. Januar 2005, TOP 4, „Anliegerverkehr in der Friedrichstraße“;
https://ris.wuppertal.de/si0057.asp?__ksinr=3772
VO/0219/14 (behandelt in der Sitzung der BV Elberfeld vom 7. Mai 2014) bezieht sich auf vorgenannte Drucksache.
2) VO0220/16, Sitzung der BV Elberfeld am 20. April 2016, „Umwandlung der Fußgängerzone Friedrichstraße in einen verkehrsberuhigten Geschäftsbereich“;
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=17913
3) Stellungnahme der Stadt Wuppertal zu Az., 14 K 4903/15 vom 10. November 2015.
4) „Hinweise zur Berücksichtigung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bei Maßnahmen der Verkehrsberuhigung“; RdErl. d. Ministers für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr v. 11.6.1986-IC3-89,00- 1447/86; aufgehoben durch Erlassbereinung 2003;
https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=1&gld_nr=9&ugl_nr=9220&bes_id=1527&val=1527&ver=7&sg=&aufgehoben=J&menu=1
5) Öffnung der Einbahnstraße Friedrichstraße für den Radverkehr;
VO/1033/16, TOP 9 der Sitzung der BV Elberfeld am 8. Februar 17;
https://ris.wuppertal.de/si0057.asp?__ksinr=14575
6) Umgestaltung der Friedrichstraße/Neuen Friedrichstraße zur Fahrradstraße;
VO/1130/18, TOP 10 der Sitzung der BV Elberfeld vom 08. Mai 19;
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=22180
7) Freigabe der Friedrichstraße für den Radverkehr in Gegenrichtung;
VO/0336/20, TOP 14 der Sitzung des Verkehrsausschusses am 10. Juni 20;
https://ris.wuppertal.de/to0050.asp?__ktonr=99813
8) Weit entfernt von Fahrradstadt: Wuppertal erhält den Negativpreis „Pannenflicken“;
https://www.wz.de/-73213561
9) Aufhebung Fahrradstraße Luisenstraße
VO/0001/21, TOP 7 der Sitzung der BV Elberfeld vom 10. Februar 21;
https://ris.wuppertal.de/vo0053.asp?__kvonr=24681
A) VG Karlsruhe, Urteil vom 24.05.2022 – 14 K 964/21;
https://openjur.de/u/2432259.html
B) Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010);
https://de.wikipedia.org/wiki/Empfehlungen_f%C3%BCr_Radverkehrsanlagen
Weiter mit:
Friedrichstraße:
Man kann lange darüber diskutieren, ob sich der Wegfall so vieler Parkplätze in der Nordstadt gelohnt hat, um eine attraktive Rad-Verbindung von der Nordbahntrasse in die Elberfelder City durchzusetzen.
Dabei ist der gepflasterte Teil der Friedrichstraße sicher ein neuralgischer Punkt, wenn er wirklich nur 3 Meter breit ist. Denn der Radweg verschwenkt nach 50 gegenläufigen Metern in elegantem Schwung auf die Fahrbahn und endet dort auf Kollisionskurs mit dem Linienbusverkehr.
Wer diesen Punkt aber kritisiert, muss auch eine bessere Lösung parat haben, denn mit dem Wegfall der Friedrichstraßen-Freigabe wäre die Rad-Verbindung hinüber, und die Nordstädter könnten zu Recht ihre Parkplätze zurückverlangen.
Ich nehme (bei passendem Wetter) gerne den Weg, wenn ich in die City will, und habe es bisher immer überlebt.
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Hünefeldstraße:
An der Umsetzung der neuen Verkehrsführung in der Hünefeldstraße könnte ich einiges aussetzen. Warum aber 4,50 Meter Breite für eine Einbahnstraße mit gegenläufigem Radverkehr nicht ausreichen sollen, will mir nicht einleuchten. Die alten Bürgersteigradwege waren mit max. 1 Meter Breite sicher nicht geräumiger.
Dass ab 400 Kfz ein Schutzstreifen infrage kommt, mag sein. Aber „infragekommen“ bedeutet ja nicht, dass er vorgeschrieben ist, und außerdem würden laut ERA selbst 3,75 Meter Fahrbahnbreite dafür ausreichen (2,50 m Restfahrbahn + 1,25 m Schutzstreifen). Insofern kann ich auch diesen Punkt nicht nachvollziehen.
Unter den Hünefeldstraßen-Kritikern beschreiben Radfahrer in Leserbriefen gerne, wie sie seit der Neuregelung in Ost-West-Richtung auf der Fahrbahn bedrängt, genötigt, angehupt oder sogar überholt werden. Nun ist der Radverkehr auf der Fahrbahn in Richtung Westen auch früher schon erlaubt gewesen. Vielleicht entsteht der aktuelle Konflikt also nur dadurch, dass aggressive Fahrweise nicht mehr mit freier Bahn belohnt wird, weil Radfahrern die Flucht auf die Bürgersteige versperrt wurde.
Falls diese Vermutung stimmt, dürfte das Problem diesmal eher hinter dem Lenkrad als am Schreibtisch zu suchen sein.
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Angst vor Rückforderungen & Co:
Auch die Rad-Freigabe der Busspuren auf der Gathe und der Bundesallee sollte mal an der drohenden Rückforderung von Fördermitteln scheitern, bis dann herauskam, dass kein Fördergeber etwas zurückgefordert oder überhaupt je gezahlt hat.
Den Bewohnern dieses Tals ihre Verkehrsplanung zu vermitteln ohne sich aberwitzige Lügengeschichten zugunsten des Linienverkehrs auszudenken, wäre tatsächlich ein guter Vorsatz für 2024, den ich dem Verkehrsressort kaum zu wünschen wage.
Verkehrspolitik soll den Verkehr sicher und am laufen halten. Wenn der politische Wille ist, dem Radverkehr mehr Priorität einzuräumen, sieht man zu, wie man diesen Zweck innerhalb des gesetzlichen Rahmens erreicht (pflichtgemäße Ermessensausübung). Für die Freigabe von Einbahnstraßen in Gegenrichtung für Radfahrer gilt der Grundsatz: je mehr Verkehr in einer konkreten Straße herrscht, desto breiter muß die Fahrbahn sein.
Beispiel Hünefeldstraße: Die höchstzulässige Geschwindigkeit mußte in Fahrtrichtung Elberfeld bereits auf 30 km/h verringert werden, um überhaupt Radverkehr in Gegenrichtung zuzulassen. Ausweichweichflächen wurden auf linker Seite geschaffen, die allerdings nicht markiert und für den Radverkehr gegen Einbahn nicht erkennbar sind. Zudem ist der Gegenverkehr so häufig, daß ein Ausweichen keinen Sinn ergibt: man käme schlicht nicht mehr weiter. Weder die Ziele der StVO nach Sicherheit UND Flüssigkeit, noch der Einbahnfreigabe in Gegenrichtung sind hier nicht erfüllt, weil die meisten Radfahrer lieber die Gehwege benutzen (Ermessensfehlgebrauch).
Beispiel Friedrichstraße: Allgemein anerkannt ist eine Fahrbahnmindestbreite von 3,0 Metern für die Freigabe einer Einbahnstraße in Gegenrichtung. Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift gibt bei (Vorhandensein von) Busverkehr oder einem erheblichen Schwerverkehrsanteil eine Mindestbreite von 3,5 Metern vor. Die liegt im Abschnitt Karlstraße–Neumarkt nicht vor (Ermessensüberschreitung). Bereits im Gerichtsprozeß um die damalige (rechtswidrige) Fußgängerzone wurde die Fahrbahnbreite mit 3,0 Metern festgestellt. Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn (§ 2 Absatz 1 StVO), Gehwege sind „Sonderwege“ für Fußgänger (§ 25 Absatz 1 Satz StVO).
Busse und LKW sind ohne Außenspiegel und sonstige Anbauten 2,55 m breit. Dem Amt 104 dürfte also sehr wohl geläufig sein, daß auf 3,0 Metern Fahrbahnbreite keine Begegnung zwischen Bus und Rad möglich ist, ohne den Verkehr nachhaltig zu gefährden oder verzögern bzw. verkehrswidrig auf die Seitenbereiche Gehweg und Parkstreifen abzudrängen.
Für die Friedrichstraße wurde unter anderem vorgeschlagen, den Radweg bis zum Neumarkt fortzuführen. Das hätte eine Verwaltung, die ernsthaft Verkehrspolitik betreibt, auch selber in Erwägung ziehen müssen. Der Vorschlag wurde von Politik und Verwaltung abgelehnt. Zudem wurde mehrfach vorgeschlagen, die Radverkehrsanlagen der Friedrichstraße (Aufstellstreifen), Wall bis zum Islandufer baulich vom sonstigen Verkehr zu trennen (Sperrpfosten, Leitborde), da bekanntermaßen Busse regelmäßig Radfahrer spielen und andere Verkehrsteilnehmer auf dem Radweg parken. Andere Städte – selbst Berlin – sind auf diese Idee gekommen. In Wuppertal werden diese Maßnahmen abgelehnt.
Verkehrliche Maßnahmen müssen nach den gesetzlichen Vorgaben geplant und umgesetzt werden, sonst sind sie Schrott. In Wuppertal setzt die Verwaltung noch eins drauf. Dann wird in der „Fußgängerzone“ eben eine Sondererlaubnis für 25 km/h für Busse ins Spiel gebracht, die nicht existiert, dann wird die Gebetsmühle mit den angeblichen Rückforderungen rausgeholt.
In dem als „Fahrradstraße“ ausgewiesenen Teil der (Neuen) Friedrichstraße wird per Schild hingewiesen: „Parken in den markierten Flächen erlaubt“ und am aufgehängten Banner PR-wirksam behauptet, Radfahrer hätten hier Vorfahrt. Beides ist Quatsch.
Die gestrichelte Linie (Zeichen 340 StVO) hat in der Fahrradstraße keinen Regelungsgehalt: sie trennt ja keinen Schutzstreifen ab, wo das Parken und Halten dann verboten ist, sondern soll lediglich einen Abstand zu parkenden Fahrzeugen vermitteln (aber genau dort fehlt sie in der Fr. größtenteils). Auf der Fahrbahn ist das Parken auch ohne Parkmarkierung erlaubt. Im Gegensatz zu Wuppertal hat Dortmund in der als Fahrradstraße ausgewiesene Großen Heimstraße Halteverbote (Zeichen 283/286) angeordnet, um das Parken außerhalb markierter Flächen rechtswirksam zu unterbinden.
Auch daß „Radfahrer in der Fahrradstraße Vorfahrt“ haben, ist für sich genommen Unfug. Zunächst bedarf es einer geänderten Verkehrsführung, nämlich daß der Verkehr in der Fahrradstraße Vorfahrt bekommt (Zeichen 301) und der einmündende Verkehr Zeichen 205/206. Dann haben aber ALLE Verkehrsteilnehmer auf der Fahrradstraße Vorfahrt, nicht nur Radfahrer.
Bei den Verkehrsteilnehmern stoßen die verkehrlichen Maßnahmen auf Unverständnis: wieso sollte man sich an den angeordneten Murks halten, wenn die Stadt selbst nicht in der Lage dazu ist, StVO-konforme verkehrsrechtliche Anordnungen zu treffen und sich erst dadurch Gefahrenlage ergeben, weil sich unterschiedliche Verkehrsteilnehmer erst dadurch in die Quere kommen?
Das betrifft explizit nicht nur offensichtlich rechtswidrige Akte wie die fehlende Mindestbreite, sondern auch den Verstoß gegen das Prinzip der Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs.
Ein Rechtsgutachten der UDV¹ zu markierten Radverkehrsanlagen kommt zu dem Schluß, daß unabhängig von der Begegnungsart Autofahrer innerorts einen Abstand von 1,5 Metern zu Radfahrern halten müssen. Entsprechend geplante Radverkehrsanlagen und Fahrbahnen ermöglichen eine gefahrlose(s) Überholen und Begegnen und vermeiden dadurch Konflikte und Gefahrensituationen.
Derart umgesetzte Radrouten sind zu begrüßen; den Wuppertaler Routen liegen hingegen Ignoranz und Fehlplanung zugrunde. Die Planung der Relation Mirke–Hauptbahnhof ignoriert, neben der zu geringen Fahrbahnbreite auf der Friedrichstraße, am Wall den zahllosen Fußgänger-Querverkehr sowie zahlreiche Kraftfahrzeuge, die den Radweg mitbenutzen. Das grundsätzlich zu verhindern, ist dann NICHT Aufgabe des Ordnungsamtes. Es ist verdammte Aufgabe des Amtes 104, bei einer Häufung von Verkehrsverstößen baulich für eine STVO-konforme Nutzung zu sorgen.
Die Ost-West-Route krankt an ähnlichen Symptomen: Ja, wir haben auf der Hünefeldstraße ein paar Ausweichflächen geschaffen und die Straße ist breiter als 3,0 Meter. Nach StVO müßten Kfz und entgegenkommender Radfahrer jedesmal bis zum Stillstand abbremsen, um dann „mit äußerster Vorsicht“ einander zu passieren. Selbst dies ignorierend, wird es in der Praxis bei der Begegnung mit Kfz ab der Größe eines Bullis eng. Entweder man riskiert einen Unfall mit dem entgegenkommenden Kfz, oder verringert den Abstand zu den geparkten: Radfahrer sind gehalten, zu parkenden Fahrzeugen rund einen Meter seitlichen Sicherheitsabstand einzuhalten, da sie sonst im Falle eines Unfalls (jemand öffnet eine Autotür) einen Teil des Schadens selber zu tragen haben (Haftungsquote).
Von Durchgängigkeit kann auch keine Rede sein: Zwischen Loher Straße und Brücke Wasserstraße sind Radfahrer die „anderen Fußgänger“ (Gehweg mit Radfreigabe), auf der Brücke selbst müssen Radfahrer im Stand einen rechten Winkel fahren oder bauen geradeausfahrend über den hohen Bordstein einen Unfall. Hinter der Brücke ist der Gehweg kurzerhand als Radweg ausgeschildert, wird aber als Gehweg von Fußgängern mitbenutzt. Und ab Finanzamt endet die Route.
Da bleibe ich lieber auf der B 7 und bin ohne Ecken, Kanten und Gegenverkehr im Nu in Barmen.
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1) Unfallforschung kommunal Nr 34: Rechtsgutachten – markierte Radverkehrsanlagen;
https://www.udv.de/resource/blob/79404/b72b1b4bac76afabacecb6a3c647084a/86-rechtsgutachten-zu-markierten-radverkehrsfuehrung-data.pdf
Hünefeldstraße:
Das Kölner Landgericht hat 2022 bei einem Dooring-Unfall den Mithaftungsanspruch gegen den Radfahrer bei einem Seitenabstand von 50 cm und flotter Fahrt aberkannt (Az. 5 O 372/20). Wer beim Öffnen einer Autotür einen Unfall verursacht, haftet demnach zu 100 %. (Wurde auch Zeit…)
Bei 4,50 Meter Fahrbahnbreite bleiben nach Abzug der Seitenabstände (2x 0,50 Meter), dem Regel-Pkw (2 Meter) dem pendelnden Regelradfahrer (1 Meter) noch 0,50 Meter übrig. Für Lkw kann man Ausweichflächen in Anspruch nehmen. Das ist nicht üppig, sollte bei angepasster Geschwindigkeit und guter Fahrzeugbeherrschung aber gehen.
Zugegeben – das ist eine theoretische Überlegung. Ich fahre selten dort her und nicht zu den Stoßzeiten. Erfahrungsgemäß beharren aber viele Autofahrer lange auf ihrem „Gewohnheitsrecht“ bevor sie eine neue Geschwindigkeit und Verkehrsführung akzeptieren (vgl. die Umwandlung von 80 Meter Friedrich-Ebert-Straße zur Fußgängerzone), und das sind „Tempo 50“ und „radfahrerfreie Bahn“.
Ich habe jedenfalls nicht gehört, dass 50 cm Seitenabstand zu Fußgängern auf den Bürgersteigradwegen je ein Thema waren. Die Auseinandersetzung mit stärkeren Verkehrsteilnehmern scheint für die Radfahrer, die immer noch die Gehwege benutzen, ungewohnt zu sein.
In dem Rechtsgutachten der UDV habe ich übrigens nichts über Abstände im Begegnungsverkehr (nur Überholen + Vorbeifahren) gefunden. Auch sonst kenne ich dazu keine Mindestmaße.
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Friedrichstraße:
Gegen einen durchgehenden Radweg bis zum Neumarkt hätte ich nichts einzuwenden, den Platz dafür sehe ich allerdings nicht (Geschäftseingänge, Parkplätze, Bäume). Die meiste Zeit des Tages sind ausreichend Ausweichmöglichkeiten vorhanden, und die Busse fahren ja nicht im 15-Sekunden-Takt.
Insofern halte ich die 125 Meter Tempo-20-Zone nach wie vor für überlebbar wenn auch unangenehm.
„In Fahrradstraßen hat der Radverkehr Vorrang“ ist ein Slogan, der nichts mit dem Vorfahrtsrecht an Kreuzungen zu tun hat (Vz 301 sind in ausreichender Menge gesetzt), sondern mit dem Verhältnis der Kfz (als Ausnahme geduldet) zu Fahrrädern (können zu dritt nebeneinander fahren).
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Fazit:
Auch wenn ich in der ungewohnten Position bin, die Verkehrsplaner zu verteidigen: Man kann keine Abstände mit dem Gesetzbuch einfordern, wo die Breiten nicht vorhanden sind. Daher gehen in manchen Nebenstraßen die Planungen notgedrungen hin zu Temporeduzierungen (Friedrichstraße: 20 km/h, Hünefeldstraße: 30 km/h) mit mehr Verkehrsvermischung.
Als zweite Ost-West-Hauptachse neben der Nordbahntrasse ist die Hünefeldstraße meiner Meinung nach völlig dennoch ungeeignet, da sie noch im Einzugsbereich der Nordbahntrasse liegt und kaum über die Wupper hinaus wirkt. Aber das ist ein Thema für einen neuen Artikel…
Wenn für eine sichere Radwegführung der nötige Verkehrsraum nicht vorhanden ist, muß man auf die Anlage von Radverkehrsanlagen oder Freigaben von Einbahnstraßen in Gegenrichtung eben verzichten. Dies ergibt sich bereits aus demGrundprinzip der Verkehrssicherheit: die Anordnung verkehrsrechtlicher Maßnahmen soll Gefahrenlagen reduzieren und beseitigen.
Mit der Freigabe der Hünefeldstraße gegen Einbahn für Radfahrer schicke ich diese wortwörtlich auf Konfrontationskurs mit dem Kfz-Verkehr.
Auch wenn das LG Köln die Schuld bei einem Dooring-Unfall dem Autofahrer zugewiesen hat, nützt es einem Familienvater nichts, der gerne den Abend mit seinen Kindern zu Hause und nicht verletzt im Krankenhaus verbringen möchte.
Wenn 50 cm Abstand zu den Beifahrertüren ein Problem sind, muss sich der „Familienvater“ fragen, warum ihn die 25 cm Abstand des alten 1-Meter-Bürgersteigradwegs zu den Fahrertüren(!) nicht gestört haben.
Am Platz der Republik gibt es eine freigegebene Einbahnstraße, von der ich im Unterschied zur Hünefeldstraße aus der Fahrpraxis weiß, dass sie für den Begegnungsverkehr definitiv ungeeignet ist. (Ich glaube, es sind 3,50 Meter ohne nennenswerte Ausweichflächen.)
Kann es sein, dass die Hünefeldstraße gar nicht durchgehend 4,50 Meter breit ist? Vielleicht hilft es, nochmal genau nachzumessen.
Was will der Autor damit sagen?
Welche Forderungen sollen daraus gezogen werden?