22.08.2015talwaerts
#Marclohntsich
Die Hardt. Was für eine doofe Idee, aber es war ja meine, also muss ich mich jetzt ohne Murren die steilen Kilometer zum Elisenturm hinauf quälen. Und das bei der Hitze. Es gibt Termine, auf die man richtig Lust hat als Journalist und es gibt andere Termine. Als ich um die Ecke biege, steht da mein Interviewpartner und – raucht. „Hah!“, rufe ich. „Erwischt.“
„Ja, eigentlich habe ich aufgehört, aber irgendwie bieten sich in letzter Zeit zu viele Gelegenheiten.“ Der Mann heißt Marc Schulz und will im September unser neuer Oberbürgermeister werden, ob ihn das stresst, frage ich. „Es ist schon viel im Moment, aber das ist nicht der Grund für die Zigaretten.“
Ich kenne Marc Schulz. Jedenfalls bilde ich mir das ein und bin damit wahrscheinlich nicht allein, denn wenn es so etwas wie den Prototypen eines gläsernen Menschen gibt, dann ist es Marc Schulz. Mitglied im Rat der Stadt Wuppertal, lautstarker Kritiker der Kommunalpolitik und – vorsichtig ausgedrückt – facebookaffin.
Er war mal sehr aktiv bei der SPD, ist aber 2002 „wegen der Spendenaffäre und der schlechten Debattenkultur“ mit (fast) dem gesamten Juso-Vorstand zu den Grünen gegangen. Für die kandidiert er jetzt als Oberbürgermeister, weil die Initiative „Wuppertal 3.0“ keinen parteiunabhängigen Kandidaten gefunden hat.
Herr Schulz, sind Sie zweite Wahl?
„Ein parteiunabhängiger Kandidat wäre unsere erste Wahl gewesen, ja. Aber als Kandidat der Grünen bin ich, denke ich, die erste Wahl. Natürlich bin ich gegenüber den anderen Kandidaten dadurch etwas im Nachteil. Jung und Mucke können ja schon seit Anfang des Jahres richtig Gas geben, ich fange als Nachzügler eigentlich gerade erst an.“
Und wie wollen Sie diesen Nachteil jetzt ausgleichen?
„Wir machen keinen Hochglanzwahlkampf, dafür aber einen sehr ehrlichen und persönlichen. Ich habe eine Website und ein Facebookprofil, das ich jetzt für den Wahlkampf nutze. Aber das ist mein echtes Profil, kein von PR-Leuten betreutes. Wir machen also einen sehr authentischen Wahlkampf, schließlich ist die OB-Wahl eine Personenwahl.“
Ist das jetzt besonders authentisch oder sind Sie vielleicht einfach kein Teamplayer?
„Hahaha, das kann ich mir gar nicht leisten. Als Fraktionschef der Grünen bin ich auf jeden Fall ein Teamplayer, das läuft nicht wie bei der SPD: Reese diktiert und alle folgen brav. Bei uns wird offen diskutiert.“
Zwischenstand. Ich kenne Marc Schulz nicht. Statt eines laut meckernden und anstrengenden Typen (mein Facebook-Eindruck) sitzt mir hier ein Mann gegenüber, der sehr ruhig spricht. Der ab und zu zwei Sekunden wartet, bevor er antwortet. Der auf jeden Fall von sich selbst überzeugt ist, aber nicht auf eine überheblich nervige, sondern eher auf eine fachlich kompetente Weise. Ich gestehe mir ein, dass ich ihm darin zu ähnlich bin, um es ihm übel zu nehmen und beschließe, Marc Schulz jetzt kennenzulernen.
Herr Schulz, Sie haben ja gesagt, dass die OB-Wahl eine Personenwahl ist. Dann sagen Sie doch mal: Wer ist denn Marc Schulz?
(Zwei Nachdenk-Sekunden) „Erstens bin ich überzeugter Wuppertaler. Ich habe es mal mit Berlin versucht, aber da habe ich es nicht lang ausgehalten. Wuppertal und speziell der Rott sind meine Heimat und ich fühle mich hier mit meiner Familie sehr wohl. Das ist wohl die zweite Eigenschaft: Ich bin ein Familienmensch. Und die dritte ist, dass ich gern gegen den Strom schwimme. Ich habe klare Ansichten und trete dafür auch ein. Den Mund halten ist nicht so mein Ding.“
Ja, das ist mir schon aufgefallen. Liest man ja bei Facebook fast täglich. Muss man als Politiker ein Selbstdarsteller sein?
„Nein, muss man nicht, aber ich denke nicht, dass es schadet. Man steht nun mal in der Öffentlichkeit und bekommt Aufmerksamkeit, das sollte man schon mögen.“
Viele meinen ja, Sie haben eh keine Chance und sollten lieber Andreas Mucke unterstützen. Ist es dumm von den Grünen, einen eigenen Kandidaten aufzustellen?
„Nein, in diesem Fall sicher nicht. Wir haben viele Kandidaten, so dass es sehr wahrscheinlich zu einer Stichwahl kommen wird. Im ersten Wahlgang ist also keine Stimme umsonst und deshalb möchten wir den Wuppertalern auf jeden Fall eine Alternative zur GroKo bieten. Mucke und die SPD sagen selbst immer, dass es eine Wechselstimmung in Wuppertal gibt, aber Mucke bietet diesen Wechsel ja gar nicht an. Letztes Jahr hat sich die SPD bewusst gegen eine andere Politik entschieden und wir sehen nicht, warum ein SPD-Kandidat das jetzt anders machen sollte.“
Anders ist ein gutes Stichwort, Ihr Slogan heißt ja „Mit Marc geht das“. Was geht denn mit Marc?
„Mein Hauptthema ist die Bürgerbeteiligung, weil ich denke, dass das auch vor allem Aufgabe eines OBs ist: den Kontakt zu den Bürgern zu suchen und ihre Wünsche in Politik umzusetzen. Das möchte ich machen und zwar nicht nur mit einem Dezernenten, sondern ganz aktiv. Ich habe selbst schon in der Planungszelle für Bürgerbeteiligung an der Bergischen Uni an Verfahren mitgearbeitet und weiß insofern, was echte Beteiligung ist. Dabei geht es nicht um symbolische Infoveranstaltungen, sondern vor allem um Glaubwürdigkeit und ernsthaftes Interesse.“
Und konkret: Welche Projekte würden Sie als OB angehen?
„Das Thema Klimaneutralität ist mir als Grünem natürlich wichtig, aber das ist denke ich klar. Konkret gehört dazu das Thema L419 und die Förderung der Fahrradstadt Wuppertal. Wir brauchen ein Verkehrskonzept, das nicht immer das Auto in den Vordergrund stellt. Ein weiteres großes Thema ist die Innenstadtentwicklung. Wir brauchen als Stadt klare Entwicklungsvorgaben, um Geschäfte und Unternehmen attraktiv in der Innenstadt zu platzieren, statt auf der grünen Wiese. Darüber hinaus möchte ich gern Ideen in den Fokus rücken, die es längst gibt: Freifunk, Utopiastadt, die vielen tollen Wuppertaler Initiativen und Projekte verdienen viel mehr Aufmerksamkeit, denn die ganze Stadt profitiert davon. So entwickelt sich automatisch Selbstbewusstsein, das muss man gar nicht umständlich „Talstolz“ (Seitenhieb auf Mucke-Slogan) nennen.“
Coole Ideen, Herr Schulz. Aber zum Schluss noch eine Frage: Wie wollen Sie als Grüner OB gegen die GroKo im Rat durchsetzen?
„Ich bin dann ja nicht der OB der Grünen, sondern der OB aller Wuppertaler, das legitimiert mich und das wird auch die GroKo nicht ignorieren können. Außerdem hängt die politische Durchsatzungskraft eines Obs auch davon ab, ob er überhaupt politisch agiert. Peter Jung hat sich entschieden, ein repräsentativer OB zu sein und Kämmerer Johannes Slawig die politische Arbeit zu überlassen. Das führt dazu, dass Kosten und Finanzen immer an erster Stelle stehen. Ich möchte das ändern und wieder ein OB sein, der politische Entscheidungen trägt und durchsetzt – im Sinne der Wuppertaler.“
Text: Sophie Blasberg
Der Artikel ist in der neuen Ausgabe der talwaerts erschienen, Wuppertals Wochenzeitung. Den vollständigen Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe, die immer freitags erscheint. Überall, wo es Zeitschriften gibt und unter www.talwaerts-zeitung.de
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