Mehr Demonstrationen wagen!

SPD-Landtagsabgeordneter Andreas Bialas hat nach den G20-Krawallen mit einer Forderung nach lebenslangem Demonstrationsverbot Aufmerksamkeit erregt. Nun ruft er zur Diskussion auf.


Ein ungekürzter Gastkommentar von Andreas Bialas:

Demonstrationen sind ein wesentlicher und unverzichtbarer Baustein von lebendigen Demokratien. Sie sind im besten Sinne des Wortes systemrelevant.

Nur dort, wo man sich treffen kann, wo man sich austauschen und abstimmen kann, wo man seine Ansichten allein oder in Gemeinschaft äußern und in deutlich sichtbare Öffentlichkeit tragen kann – gerade und notwendiger Weise auch Positionen entgegen der Ansichten der „Staatsmacht“ – nur dort ist eine freiheitliche, progressive, gerechte und zivilisierte Gesellschaft denk- und machbar.

Oder etwas flapsig: Die Demokratie verspricht Dir nicht, dass Du die beste Regierung bekommst, sie verspricht Dir aber, dass Du sie wieder loswirst – ohne Blutvergießen. Sehr exklusiv und luxuriös weltweit. Hierfür ist das Versammlungsrecht maßgeblich.

Demonstrationen sind ein starker Motor für Veränderungen in einer offenen Gesellschaft. Gerade wir Sozialdemokraten waren nie nur Partei sondern immer auch öffentliche Bewegung. Wesentliche Veränderungen verdanken wir den Bewegungen auf der Straße (und waren leider nicht bei allen vorneweg): Arbeiterbewegung, Friedensbewegung, ökologische Bewegung, Frauenbewegung, natürlich auch die zahlreichen Proteste die zur Widervereinigung führten.

Demonstrationen sind auch notwendige Veranstaltungen der Selbst- und Gemeinschaftsvergewisserung, also: nicht allein sein, nicht schwach sein, mit anderen stark sein können. Eine hohe Notwendigkeit gerade auch angesichts der Schrecken von Naziherrschaft und SED-Diktatur.

Demonstrationen müssen zwingend stattfinden, Demonstrationen müssen viel häufiger stattfinden. Wofür zum Beispiel? Eintreten für die offene Gesellschaft, Eintreten für Europa, Eintreten für gerechte Verteilung und Teilhabe, Eintreten für Toleranz und Offenheit – täglich müssten wir viel häufiger noch unseren „Hintern“ hochbekommen, um in aller Öffentlichkeit zu zeigen, wofür oder wogegen wir stehen und einstehen. Gründe gibt es viele. Also raus aus den Buden.

Demonstrationen sollte aber auch die Möglichkeit innewohnen, mittels Botschaften und Impulse zu einer Wirkmächtigkeit zu gelangen.

Der Hamburger Gipfel hat hierzu doch genügend Anlass gegeben. Ein Schaulaufen von Egomanen, brutalen Zynikern und Tyrannen, die von Protektionismus und Nationalismus schwärmten – und nun wird hinterher gesagt, „na es ist doch prima, dass sie wenigstens miteinander reden“.

Wo war auf dem Gipfel die Bereitschaft zur Lösung, wenigstens ernsthafter Diskussion, weltweit brennender Themen – Klimaschutz, Befriedung von Kriegs- und Krisenregionen, Bekämpfung von Fluchtursachen, Ernährung der Weltbevölkerung, Massensterben im Mittelmeer, gerechte Verteilung der Güter, nur einige wenige drängende Themen, die von den Demonstranten aufgegriffen und thematisiert wurden. Hört man sie heute. Haben sie sich Geltung verschaffen können. Nein.

Gehör haben sich jenseits der G20 Vertreter nur die Chaoten verschafft – und mit welcher Botschaft?

Lautete die Botschaft: Wir sehen die Probleme und wollen sie angegangen wissen?
Nein, die Botschaft war folgende: Wir schei… auf den Rechtsstaat, Polizisten kann man notfalls töten, das Eigentum der Bevölkerung (und nun wahrlich nicht reicher Hamburger) ist uns völlig gleichgültig und eine politische Botschaft haben wir übrigens auch nicht. Uns interessieren keine Themen – wir wollen nur Hass und Wut und Gewalt auf die Straße tragen.

Wir höhlen doch unsere eigenen Demonstrationen und die Wirkung des Protestes inhaltlich geradezu aus, wenn wir es Chaoten und Straftätern überlassen, welche Überschrift unser Protest trägt. Dazu kommt: Demonstrationen werden regelmäßig frühzeitig beendet, wenn Gewalttäter ihr Unwesen treiben. Hilft das?

Wo Gewalt angewendet wird, wo Gewalt befürwortet wird, findet letzten Endes nur die Anwendung des Rechts statt. Dieses beinhaltet aber auch die Forderung an die staatlichen Einrichtungen, wie beispielsweise die Polizei, das Recht durchzusetzen. Eine tragende Säule unseres Staates ist der Gewaltverzicht des Einzelnen und die damit auch verbundene Legitimation einer Regierung, d.h. der Bürger lässt sich regieren, solange der Staat auch Aufgaben für ihn übernimmt und erfüllt, unter anderem seinen Schutz.

Tut der Staat dies nicht, werden die Bürger ihm über kurz oder lang auch die Legitimation entziehen. Daher ist es gerade für Verfassungsgegner so verlockend, das staatliche Gewaltmonopol herauszufordern oder die Ohnmacht der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols darzustellen. Brennende Straße machen sich da gut, rechtsfrei gezogene Straßenzüge ohne Kontrolle auch. Angreifbare Polizisten ebenfalls, denn kaum etwas ist so verlockend, als darzustellen, dass sich die „Schützer“ noch nicht einmal selbst schützen können. Dem Staat wird hier versucht, Stabilität und Glaubwürdigkeit zu entziehen.

Meine folgenden Äußerungen werden vermutlich jetzt so einige wieder restlos aufregen. Realität ist aber: Änderungen am Grundgesetz, bzw. konkreter: Änderungen an vom Grundgesetz zugesicherten Grundrechten, finden dauernd statt. Eine Masse von Gesetzen und Verordnungen weist genau diesen Charakter auf. Ständig. Genau das ist auch eine Aufgabe als Politiker, Gesetze zu beraten und abzustimmen. Wir greifen also pausenlos ein. Wir wissen das auch durchaus.

Ein Beispiel: Artikel 2 GG sagt zunächst einmal in etwa: „Du kannst tun und lassen, was Du willst.“, um dann umgehend mit folgendem Satze einzuschränken: „Aber nur wenn Du den anderen nicht zu sehr auf die Nerven gehst“. Oder etwas philosophischer ausgedrückt: „Die Nase des Du ist die Grenze des Ich.“ Oder noch etwas feiner ausgedrückt: Das Recht auf freie Entfaltung der Person findet in den Rechten anderer oder den allgemeinen Ordnungsrechten eine Grenze.

Fast die gesamte Rechtsordnung beeinflusst also die Wahrnehmung der im GG garantierten Grundrechte. Insoweit: Selbst die Parkordnung ist im Grunde eine Beschränkung des Grundgesetzes (ich darf nicht überall parken – meine Persönlichkeit also gerade in diesem Punkt –„ich wollte doch gerade da parken und nicht so weit laufen“- leider nicht entfalten).

Ich muss mich zwar nicht dran halten, ich muss mich eigentlich an gar nichts halten – nur muss ich dann eben mit Konsequenzen rechnen (die mich dann dummerweise wieder einschränken – „wollte doch die 10 Euro für etwas anders ausgeben“). Mist.

Daher „blödes“ Fazit: Alles machen und sich dann darauf berufen, dass man schließlich unbegrenzte Freiheitsrechte habe, geht schlicht nicht, würde übrigens auch ganz flott in Barbarei und in das Recht des Stärkeren münden. Schließlich setzte sich nur noch der durch, der über Machtmittel verfügt.

Das meint das Grundgesetz ausdrücklich nicht, sondern hat einen sehr weisen inne liegenden Ausgleichscharakter, der Allen möglichst viel und Keinem zu wenig bemisst. Daher ist das Grundgesetz auch so gnadenlos gut, für mich die beste Grundlage, die es für einen freien Staat je gab, und: wenn man dumme Begriffe mag und verwendet (ab und zu kann ich mich davon nicht frei sprechen): die beste Leitkultur, die es geben kann.

Die Artikel des GG gelten somit nicht für jedes Individuum absolut und sie stehen in Konkurrenz zueinander. Daher muss stets wohl abgewogen werden. Gerade aber diese Konkurrenzen und Spannungen und die damit einhergehenden notwendigen Diskussionen machen das GG so lebendig und zeitlos.

Es muss jeweils neu besprochen werden, welcher Wert aktuell ist und notfalls auch überwiegen soll. Und: ein Eingriff muss sehr gut begründet werden und wird im Notfall vom Verfassungsgericht überprüft. In der Tat: nicht die Politik legitimiert letzten Endes Grundrechtseingriffe, es tut dies das unabhängige Gericht. Zum Glück.

Nun zum Art. 8 GG. Das Recht auf Versammlung unter freien Himmel findet bereits im Artikel selbst einen einschränkenden Hinweis, nämlich, dass es durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann. Das ist z.B. das Versammlungsgesetz, welches aufgrund konkurrierender Gesetzgebung von den Ländern erlassen und/oder geändert werden kann.

Das bedeutet, dass eine Änderung des Versammlungsgesetzes natürlich einen Grundrechtseingriff darstellen kann, jedoch nicht die Änderung des Grundgesetzes oder die generelle Abschaffung oder Einschränkung des Grundrechts darstellt.

Ein Versammlungsgesetz gibt es übrigens bereits. Hier ist unter anderem jetzt schon geregelt, wer von Versammlungen ausgeschlossen werden kann, wann eine Versammlung zu beenden ist und sogar im §1(2) wer das Recht an der Teilnahme von Versammlungen dauerhaft verwirkt hat. Das alles gibt es.

Weitestgehend ist dieses Teilnahmeverbot an die verfassungsfeindliche Gesinnung geknüpft oder spricht strafrechtsrelevante Vereinigungen an. Wen dies umschließt, wäre umfangreicher zu prüfen.

Auch hat das Verfassungsgericht bereits geklärt, dass weiteren Personen die Teilnahme verboten werden kann, bzw. sie an der Teilnahme mit geeigneten Mitteln gehindert werden können, wenn von ihnen eine Gefahr ausgehen könnte.

Fraglich bleibt bei meiner Forderung, ob hier ein weiterer Ausschlussgrund hinzugefügt wird, falls er nicht eigentlich bereits schon in Teilen besteht.

Dieser Ausschluss würde Personen treffen, die gerichtlich verurteilt, auf einer Demonstration oder im Zusammenhang mit einer Demonstration schwere Straftaten, annähernd eines Verbrechens gegenüber Polizeibeamten begangen hätten, von Delikten also, welche jeweils eine Mindesthaftstrafe von einem halben Jahr aufweisen müssten.

Ich rede nicht von Sitzblockade, auch nicht von Beleidigung, einfacher Körperverletzung oder Widerstand, auch nicht von Vermummung.

Ich rede von Beschuss von Polizisten mit Präzisionszwillen und dadurch verursachten Körperschäden, Bewurf mit Pyrotechnik und schweren Verbrennungen als Folge, ich spreche von Bewurf mit Molotow Cocktails oder großen Steinen und deren Verletzungsfolgen, ich rede von gezieltem und bewussten in Kauf nehmen schwerer und schwerster Verletzungen bis hin zur Tötung eines anderen Menschen, der hierbei als Polizist ins Visier gerät.

Es geht darum, dass Polizistinnen und Polizisten, übrigens ebenfalls Grundrechtsträger, nach getaner Arbeit das für mich nicht gänzlich unerhebliche Recht haben, ohne Schaden an Leib und Leben und Psyche nach Hause gehen zu können.

Polizistinnen und Polizisten sind keine „Bullenschweine“, keine amorphe Masse, keine entpersonifizierte Institution, das sind Sabine und Corinna, das sind Stefan und Can, das sind Menschen mit Namen und Gesichtern. Und die stehen da, weil wir es ihnen auftragen.

Und nun die Fragen:

Zählt das lebenslange Recht auf Versammlung für einen wie oben beschriebenen Straftäter höher als das Recht auf körperliche Unversehrtheit eines Polizisten, einer Person also, die wir beauftragen, unsere Rechtsordnung durchzusetzen?

Gehört jemand aktiv zu einem Kreis derartiger Straftäter und geht von ihm eine aktuelle mögliche Gefahr aus, kann er bereits heute von einer Versammlung ausgeschlossen werden. Sollte daher ein derartiges Verbot dauerhaft, also auch über seine Zeit vermeintlicher Gefährlichkeit hinaus, bestehen? Entledige ich mich hiermit nicht lediglich einer ständige Überprüfung und Neueinstufung?

Ist ein derartiges Demonstrationsverbot überhaupt verhältnismäßig? Welche anderweitige Zeitspanne wäre sinnvoll? Gälte es für alle Versammlungen oder nur für gewisse?

Ist es überhaupt geeignet, die Gewalt gegen Polizeikräfte zu minimieren? Also schlicht: Bringt das überhaupt etwas? Natürlich auch: Wäre so ein Verbot Grundrechtskonform?

Ich wäre über eine angeregte Diskussion über diese Punkte sehr erfreut. Über weitere Fragen auch.

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Kommentare

  1. Jan Sträßer sagt:

    Ein zeitlich befristetes Demonstrationsverbot erscheint mir ebenso sinnvoll wie eine zeitlich befristete Freiheitsstrafe, wie sie bei schweren Straftaten gegen Demonstranten zweifellos verhängt werden kann. Beides sind legitime Eingriffe in die Grundrechte.

    Wer mit 17 bei einer Demonstration Polizisten massiv angreift, wird aber nicht dadurch abgeschreckt, dass er mit 67 nicht mehr für seine Rente auf die Straße gehen darf. Ein lebenslanges Demonstrationsverbot ist daher völlig untauglich und bedient nur blinde Wut- und Rachegefühle.

  2. Birgit Gladbach-Eckstein sagt:

    Sehr geehrter Herr Bialas, natürlich ist Gewalt auf Demos keine zielführender Beitrag – friedliche Demonstrationen sind ,wie Sie schreiben, wesentliches Recht und Ausdrucksform in der Demokratie. Allerdings kann jemand, der wegen einer tat verurteilt ist , nicht noch zusätzlich vorsorglich von Demonstrationen ausgeschlossen werden. Das wäre eine Zweitverurteilung für potentielle weitere Taten.
    Sollte das dann auch für andere Straftaten gelten.
    Dürften verurteilte betrügerische Vorstandsvorsitzende dann nicht mehr shoppen gehen – oder Rechtsradikale nicht mehr zu Musikfest – vorsichtshalber ?
    Ich glaube so kann es nicht funktionieren in einer Demokratie und einem Rechtsstaat.
    Freundliche Grüße
    B. Gladbach-Eckstein

  3. Hans Zimmer sagt:

    Alberner Versuch, wählbar zu bleiben. HErr Bialas hat wohl vergessen Mensch zu sein vor lauter Polizist sein.

    Die Grundrechte einschränken um Grundrechte zu schützen? Der muss sich mit dem Hammer gekämmt haben. Hat er mal nachgeschlagen, wie verfälscht die Zahlen zu den verletzten Beamten waren?

    Er will ja gar nicht diskutieren, er will nur verkünden. Oder er will raus aus der Politik und zur Gewerkschaft der Polizei wechseln.

    1. Fastfoot sagt:

      Schätz Sie haben SPD~Bialas durchschaut.
      Er reduziert G20 auf Inhaltslosigkeit der Mächtigen und den sog. Schwarzen Block. Die inhaltliche Kritik der 76.000 friedlichen Demonstranten verschweigt er wissentlich, sie passen nicht in sein Konzept Recht auf Widerstand.

      1. Fastfoot 1. sagt:

        ACHTUNG – Troll!

        Der obige Kommentar ist von einem Troll der meinen Nicknamen missbraucht. Seine Kommentare sind beleidigend, hetzend und linksfaschistisch. Sie richten sich durchweg gegen Vertreter der etablierten Parteien Wuppertals und gegen ehrbare und engagierte Bürger & Institutionen wie bspw. die JuniorUni.

        Um Hinweise zum Herausfinden seines Klarnamens bin ich dankbar. Anzeige & Veröffentlichung folgt dann umgehend.

        1. Fastfoot 6 sagt:

          Unsachlicher denuziatorischer Kommentar

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