Offener Brief der Wuppertaler Kurd*innen
Sehr geehrte Damen und Herren,
auf dem Bundesparteitag am 09. Mai werden Sie als Delegierte gebeten, über einen Antrag
der SPD Berlin mit dem Titel „Solidarität mit Rojava“ (Antrag 220/II/2019) zu entscheiden.
Wir, die hier in Deutschland lebenden Kurdinnen und Kurden, finden diesen Antrag sehr
wichtig und wir möchten Sie bitten, auf dem Bundesparteitag für diesen Antrag zu stimmen.
Leider hat sich seit dem Beschluss des Antrags im November 2019 an der Situation in Rojava
nichts geändert. Weiterhin betreibt die Türkei einen vollkommen völkerrechtswidrigen
Angriffskrieg gegen die in der „Demokratische Föderation Nord- und Ostsyrien – Rojava“
zusammengeschlossenen kurdischen Autonomiegebiete in Nordsyrien. Das erklärte Ziel der
Türkei ist dabei weiterhin die von den kurdischen Selbstverwaltungsorganen geschaffenen
an Basisdemokratie, lokaler Selbstbestimmung, politischer und sozialer Gleichstellung von
Frauen und Männern sowie interethnischer, interreligiöser und interkultureller Koexistenz
orientierten Strukturen zu zerstören.
Wie Sie sich sicherlich erinnern können, waren es eben diese Kurd*innen und die von ihnen
aufgebauten Strukturen und Kampfeinheiten, die den IS bezwungen haben und diesen bis
heute mehr oder weniger unbeachtet von der Weltgemeinschaft aus eigener Kraft in Schach
halten. Der Kampf gegen den IS hat auf kurdischer Seite 12.000 Opfer gefordert.
Dadurch wurde die Rojava zu einer Insel der Sicherheit für die Menschen aus der gesamten
Region. Bis heute sind 25 % der Einwohner Flüchtlinge aus allen Teilen Syriens und dem Irak.
Vor allem für die vom IS aus Sengal vertriebenen Eziden ist Rojava der einzige Zufluchtsort,
an dem sie sicher vor Übergriffen und Diskriminierung leben können.
Auch die Menschen in Europa leben dank dem Einsatz der Kurd*innen wesentlich sicherer,
schließlich wurde durch die Zurückdrängung des IS die Gefahr des islamistischen Terrorismus
auch in Europa stark minimiert.
Die Angriffe der Türkei und der mit ihr gemeinsam operierenden islamistischen
Söldnergruppen richten sich nicht nur gegen das Leben der Menschen in Rojava, sie
destabilisieren die gesamte Region und verhindern das friedliche Zusammenleben der
Menschen im Nahen Osten. Das türkische Militär und seine zwielichtigen Verbündeten greift
gezielt zivile Infrastruktur an, immer wieder werden Zivilist*innen, Bürgerrechtler*innen
oder Aktivist*innen der Frauenbewegung gezielt durch Drohnenangriffe getötet. Oftmals
werden bei den Angriffen IS Kämpfer aus der Gefangenschaft befreit.
Genauso perfide wie der Angriffskrieg ist jedoch das Embargo, welches willkürlich von der
Türkei als Druckmittel gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird. Davon sind Bedürfnisse
des täglichen Lebens ebenso betroffen wie lebensnotwendige Medikamente und Material
zur medizinischen Versorgung. So konnten bis heute keine Schutzmasken und Impfungen
gegen COVID-19 nach Rojava durchkommen. Auch die Wasserversorgung wird regelmäßig
von der Türkei blockiert, eigene, selbst aufgebaute Strukturen zur Wasserversorgung werden
gezielt zerstört.
Europa und Deutschland als wichtigster Partner der Türkei darf dem eigenmächtigen,
völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei in Rojava und anderen Orten in der Region
nicht länger schweigend zusehen. Wie auch in dem Antrag formuliert, reichen mahnende
Worte und der Verzicht auf einige paar kleinere Waffendeals nicht aus, um einen wirksamen
Einfluss auf die Türkei auszuüben.
Die SPD ist Partner in der Regierungskoalition und damit auch verantwortlich für die
Außenpolitik Deutschlands. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme dieses Antrags durch
den Bundesparteitag auch ein deutliches Zeichen an den zuständigen Minister,
Außenminister Heiko Maas, der ebenfalls Mitglied Ihrer Partei ist, sich wie in dem Antrag
gefordert dafür einzusetzen, „die Handlungsstrategien der deutschen Politik gegenüber der
Türkei und dem gesamten Nahen und Mittleren Osten“ grundlegend zu verändern „und an
humanitären Idealen orientiert“ neu zu formulieren.
Die deutsche Politik darf nicht länger „deutsche und europäische geostrategische Interessen
auf Kosten von geflüchteten Menschen“ durchsetzen. Dieser zentralen Forderung des
Antrags können wir uns nur anschließen und möchten Sie bitten, dies ebenfalls zu tun und
für die Annahme des Antrags in allen Punkten zu stimmen.
In Deutschland leben mehr als eine Millionen Kurdinnen und Kurden, ein großer Teil von
ihnen sind deutsche Staatsbürger*innen, wahlberechtigt und verfolgt das politische
Geschehen in Deutschland mit großem Interesse. Dabei stellen die Ereignisse in ihrer Heimat
und die Rolle der deutschen Politik einen der wichtigsten Punkte auf der politischen Agenda.
Die Annahme des Antrags ist dadurch nicht nur ein wichtiger Schritt in Richtung einer
Neuausrichtung der deutschen Außenpolitik, sondern auch ein deutliches Signal an die hier
lebenden Kurd*innen, dass es die SPD ist, die sich für Frieden und eine nachhaltige
Konfliktlösung in ihrer Heimat einsetzt.
Wir bedanken uns im Voraus für Ihre Solidarität und wünschen Ihnen gutes Gelingen für
Ihren Bundesparteitag.
Mit freundlichen Grüßen
Kurdischer Frauenverein VIYAN e.V. Wuppertal
Deutsch kurdischer Freundschaftsverein Wuppertal e.V.
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