Opfer des Nazismus und Stalinismus.

Das Leben der Brüder Dr. Leo und Dr. Rudolf Zuckermann aus Elberfeld

Rezension von Dieter Nelles:

 

Philipp Graf: Zweierlei Zugehörigkeit. Der jüdische Kommunist Leo Zuckermann und der Holocaust. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2024, 356 S., 45,00 €.

Dieter Schwartze: Der blockierte Mensch. Das Schicksal des Arztes Rudolf Zuckermann.

Mironde-Verlag, Niederfrohna 2023, 84 S., 17,50 €

Am 7. Januar 1953 bestimmte die Meldung, dass Leo Zuckermann mit seiner Familie nach West-Berlin geflohen war, die Schlagzeilen der westdeutschen und internationalen Presse. Der Direktor des Deutschen Instituts für Rechtswissenschaften in Potsdam Babelsberg und ehemalige Staatssekretär und Leiter der Präsidialkanzlei des Präsidenten der DDR, Wilhelm Pieck, war einer der ranghöchsten Funktionäre der DDR, die in den Westen flohen. Leo Zuckermann schrieb von West-Berlin an seinen Bruder Rudolf nach Mexico und bat ihn um finanzielle Hilfe. Rudolf Zuckermann beriet sich mit kommunistischen Freunden und lehnte die Hilfe ab, vermutlich auch aus Sorge um seine Frau, die damals schon in der DDR lebte. Einige Wochen später reiste er von Mexiko in die DDR. Er wurde in Prag verhaftet und bis August 1953 im Stasi-Gefängnis in Berlin Hohenschönhausen verhört und zu Geständnissen gepresst. Seine Freilassung verdankte er dem Tod Stalins. Danach endeten die Repressionen und die meisten Inhaftierten wurden freigelassen.

Die Flucht von Leo und die Inhaftierung von Rudolf Zuckermanns standen im Zusammenhang mit einem der dunkelsten Kapitel des deutschen und internationalen Kommunismus: Der von der Sowjetunion ausgehenden antisemitischen Säuberungskampagne gegen Jüdinnen und Juden, die als „Kosmopoliten“ und „imperialistische Agenten“ gebrandmarkt wurden.

Der Historiker Wolfgang Kießling hatte schon 1997 eine Broschüre über das Leben der Brüder Zuckermann „zwischen nazistischer Verfolgung, Emigration und stalinistischer Maßregelung geschrieben“. Jetzt sind zwei Biografien der aus Elberfeld stammenden Brüder erschienen. Die Habilitationsschrift von Philipp Graf über Leo Zuckermann und die Arbeit von Dieter Schwarze über Rudolf Zuckermann.

Die Eltern der Brüder Zuckermann kamen nach Pogromen in Russland 1905 nach Deutschland. Samuel Zuckermann war Besitzer einer Werkstatt für Nähmaschinen und Fahrräder und wohnte zuletzt in der Luisenstrasse 124 in Elberfeld. Leo Zuckermann besuchte bis zum Abitur 1927 die Oberrealschule am Humboldtplatz. Schon als Schüler schloss er sich der Sozialistischen Arbeiter-Jugend (SAJ) an. Während seines Studiums der Rechtswissenschaft in Bonn und Berlin gehörte er einer sozialistischen Studentengruppe an. Nach eigenen Angaben wurde er 1928 Mitglied der KPD. Er trat aber nicht öffentlich als Kommunist auf, um seine juristische Karriere nicht zu gefährden. Seit 1932 war er Referendar bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal.

Er emigrierte im März 1933 nach Paris. Dort heiratete er 1933 die französische Staatsbürgerin Lydia Staloff, was ihm eine schnelle Integration in Frankreich ermöglichte. Er übte wichtige Funktionen für die Auslandsleitung der KPD aus. Unter dem Namen Leo Lambert war er Mitarbeiter beim Verteidungskomitee für die Angeklagten im Reichstagsbrandprozess und von 1935 bis 1939 Sekretär des Internationalen Asylrechtsbüros der Internationalen Roten Hilfe.

Nach der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht gelang ihm 1941 die Flucht nach Mexico. Dort war er als Anwalt tätig und gehörte zu den führenden Funktionären der KPD. Zusammen mit dem Leiter des KPD-Gruppe in Mexiko Paul Merker entwickelte er erste Überlegungen für die Wiedergutmachung an den jüdischen Opfern des Nationalsozialismus. Der Nationalsozialismus, so Zuckermann, habe die „‘Juden auf der ganzen Welt‘ zu einem Kollektiv vereint, da die an alle gerichtete Vernichtungsdrohung keine Unterschiede macht“ (S. 162).

Nach seiner Rückkehr in die DDR setzte sich Zuckermann für die individuelle Entschädigung von Jüdinnen und Juden ein und arbeitete an einem entsprechenden Gesetz mit, das aber nie beschlossen wurde. Denn 1948/49 kam es mit dem Kalten Krieg zu einem Richtungswechsel in der sowjetischen Politik. Der „Kampf gegen den „Kosmopolitismus“ richtete sich in den Ostblockstaaten in erster Linie gegen Parteifunktionäre, die im westlichen Exil und häufig Juden waren. Seit 1950 ermittelte die Zentrale Parteikontrollkommission und die Stasi gegen Leo Zuckermann. Nach der Verhaftung Paul Merkers am 30. November 1952 entschloss er sich zur Flucht nach West-Berlin.

Er kehrte nach Mexiko zurück und eröffnete eine Buchhandlung, die sich auf den Import nicht spanischer Literatur spezialisierte und ihm eine sichere Existenz bot. In Mexiko blieb er jüdischen Organisation fern und verkehrte in linken Kreisen im Umfeld der Universität, wo er in den 1970er Jahren Seminare im Fach Soziologie abhielt. Leo Zuckermann starb 1985 in Mexiko.

Die „einst vollzogene Hinwendung zum Kommunismus“, so Graf behielt „noch im zweiten Exil ihre Gültigkeit. Weshalb Zuckermann nicht vom Marxismus ließ, ist indes nur schwer zu bestimmen. Womöglich spielte – unbewusst – eine gewisse Angst vor der DDR eine Rolle, vor dem langen Arm der Staatssicherheit oder vor möglichen Konsequenzen für die Familie seines Bruders“ (S. 269). Kritisch ist an dieser Stelle zu bemerken, dass Graf nicht zwischen Marxismus, Kommunismus und Sowjetkommunismus unterscheidet. Denn die Tatsache, dass Zuckermann Seminare über Gramsci hielt, spricht doch eher dafür, dass er im Alter eine nicht dogmatische Variante des Marxismus favorisierte.

Obwohl Graf einige neue Quellen zum Engagement Zuckermanns in Wuppertal erschlossen hat, bleiben seine Ausführungen, worauf an dieser Stelle nicht detailliert eingegangen werden kann, weitgehend schematisch. Ungeachtet dessen hat er eine sehr differenzierte und lesenswerte Studie vorgelegt.

Im Unterschied zu seinem Bruder Leo war Rudolf Zuckermann in seiner Jugend kein politischer Aktivist. Er war musikalisch und künstlerisch interessiert, nahm Klavierunterricht am Konservatorium und belegte Zeichenkurse an der Kunstgewerbeschule. Nach dem Abitur 1929 studierte er auf Rat seines Vaters eher aus Vernunft, denn aus Neigung Medizin in Bonn und Berlin. Er emigrierte im März 1933 nach Paris und 1934 nach Basel, wo er im Januar 1937 sein Studium abschloss.

Im Februar 1937 schloss er sich in Spanien den Internationalen Brigaden an und war als Arzt an verschiedenen Fronten tätig. Nach Beendigung des Bürgerkriegs wurde er im französischen Internierungslager St. Cyprien interniert. Dank der Intervention seines Bruders Leos und seiner Schwägerin Lydia wurde er vorzeitig aus dem Lager entlassen und lebte bei seiner Mutter in Enghien-les Bains. Nach zweifacher Internierung gelang Rudolf Zuckermann mit seiner Frau Henny, die er 1940 geheiratet hatte und ihrem im Juli 1941 geborenen Sohn Georg André die Flucht nach Mexiko. Die Papiere hatte sein Bruder Leo organisiert. Auf der „Serpa Pinto“ gelangten die beiden Brüder und ihre Familien von Casablanca nach Veracruz. Ihre Mutter Sophie und ihre Schwester mussten die Brüder Zuckermann in Frankreich zurücklassen. Sophie Zuckermann wurde in Drancy interniert und am 16.11.1942 in Auschwitz ermordet. Der Vater, Samuel Zuckermann, wollte Wuppertal nicht verlassen. Er wurde 1941 nach Lodz deportiert und am 8.5.1942 im Vernichtungslager Chelmo ermordet

Im Unterschied zu vielen anderen Emigranten gelang Rudolf Zuckermann die berufliche Integration in Mexiko. Anfang 1942 bekam er eine Assistenzarztstelle bei dem berühmten Urologen Alexander von Lichtenberg. 1945 begann er mit einer Spezialausbildung am ersten Kardiologischen Institut der Welt, dem Instituto Naccional de Cardiologa. Er publizierte bis 1952 20 klinische und experimentelle kardiologische Veröffentlichungen.

Während seiner Haft wurde Zuckermann psychisch gefoltert und mit dem abstrusen Vorwurf konfrontiert, er sei mit der Absicht in die DDR gekommen, Spitzenfunktionäre zu töten. Vor seiner Entlassung wurde er als Informant mit dem Decknamen „Juan“ verpflichtet. Er drängte später „energisch auf die Rücknahme seiner erpressten Mordabsichtserklärung“. Als im diese verwehrt wurde, erklärte er seinen Austritt aus der Partei und teilte dem ZK seinen Entschluss mit, „keine führenden Persönlichkeiten der von Partei und Regierung untersuchen und behandeln zu wollen“ (S. 48). Im Oktober 1956 brach das Ministerium für Staatssicherheit seine Verbindung mit „Juan“ ab, da er keine Informationen geliefert hatte.

Die Karriere von Rudolf Zuckermann blieb blockiert. Zwar wurde er 1957 als Professor mit Lehrauftrag für Kardiologie berufen und 1969 zum ordentlichen Professor an der Uni Halle ernannt, aber sein Traum von einem Kardiologischen Institut wurde nicht erfüllt. An der Universität Halle geriet er zwischen alle Stühle.

Es war eine besondere Tragik“, schreibt Dieter Schwartze, „dass Rudolf Zuckermann als initial nicht erwünschter jüdischer Arzt mit einer kommunistischen Vergangenheit in einer konservativen, ideologisch rechts-orientierten Fakultät aufgrund der Stasi-Verpflichtung und der damit verbundenen persönlichen Gefahr über die zwischenzeitlich erlittenen Repressionen nicht reden konnte – auch sein Parteiaustritt war nicht bekannt und er verweigerte die Fakultätssitzungen, solange noch nationalsozialistisch belastete Ärzte daran teilnahmen und war auch später für die Parteimitglieder eine persona non grata“ (S. 56).

Rudolf Zuckermann war „Sammler und in gewisser Weise auch Mäzen der bildenden Kunst (S. 66). Er hatte Kontakte zu bekannten Künstlern der DDR. „Seine ganze Wohnung hing voller Bilder“ erinnerte sich der Maler Willi Sitte. „Das wichtigste Bild in seiner Sammlung von mir was das 1967 entstandene ‚Warschauer Paar‘. Den Anstoß für das Thema, daß die Judenverfolgung aufgreift gaben antisemitische Vorgänge in Prag, Budapest und Warschau. Sie erschütterten Zuckermann sehr“ (S. 68).

Gegenüber dem befreundeten Maler Otto Möhwald hatte Zuckermann geäußert, die Inhaftierung hätten aus ihm keinen Antikommunisten, sondern einen „Nicht-Kommunisten gemacht“ (S. 67). Trotz vorliegender Anfragen aus der BRD wollte er die DDR nie verlassen. „Dies auch deshalb“, so Schwartze, „weil er den in der BRD weiter verbreiteten Antisemitismus fürchtete“ (S. 73).

Seine Frau Henny starb 1987. „Danach war Rudolf Zuckermann völlig erschöpft und verbittert“ (S. 58). Er starb am 29. April 1995 und wurde neben seiner Frau auf dem jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee beigesetzt.

Das Buch von Schwarze ist auch eine Ehrung seines akademischen Lehrers. Er gedenke „noch heute mit Dankbarkeit, mit welcher Zuwendung der Prof. Zuckermann dem Doktoranden (…) zur Verfügung stand (S. 62).

Philipp Graf stellt sein Buch am Donnerstag, den 5. September um 19.30 in der Helmholtz Realschule, Helmholtzstrasse 40 vor.

https://www.alte-synagoge-wuppertal.de/veranstaltungen/veranstaltungen-details/zweierlei-zugehoerigkeit

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