11.12.2024N. Bernhardt
Schrittempo beim Abbiegen mit Bus und LKW: in Wuppertal verboten?
Daß in Wuppertal gerade in der Friedrichstraße [1] und am Wall [2] Landrecht herrscht und Fußgänger zum Verzicht auf ihr Vorrecht gezwungen werden (oder andernfalls Gefahr laufen, überfahren zu werden), wurde in der Vergangenheit bereits dokumentiert und prämiert.
Genauso penetrant wird die Straßenverkehrs-Ordnung seit 1688 Tagen mit Füßen getreten, wenn es darum geht, daß die lieben Busfahrer der WSW an den Kreuzungen wie Bundesallee/B7 oder Einfahrt zum Gummibahnhof beim Rechtsabbiegen Schrittgeschwindigkeit fahren [3]. Schrittempo bedeutet für einen 18,5 Meter langen Gelenkbus: das Überfahren eines fixen Punktes innerhalb der Kreuzung dauert gut neuneinhalb Sekunden.[4] In der Praxis ist der Bus aber in bereits in vier Sekunden abgebogen, das heißt mit Tempo 18 bis 20.
Während in Städten wie Hamburg [5] oder Hannover [6] Tempokontrollen für LKW und Busse durchgeführt werden und ein Verstoß gegen das Abbiegen mit Schrittempo den Fahrer 70 Euro und einen Flenspunkt kostet, herrscht in Wuppertal offenkundig auch über vier Jahre später Landrecht. Man muß ja als Fußgänger schon froh sein, wenn man bei Fußgängergrün nicht vom Busfahrer „übersehen“ wird –vergleiche Foto 3–, wenn man nicht bereits beim Umschalten der Fußgängerampel auf Grün artig am Bordsteinrand gestanden hat.
Die Stadt Wuppertal sieht bei ihrer Art der „Zero Vision“ nicht nur keine „Notwendigkeit, der WSW mobil GmbH aufzugeben, ‚sich an die Regeln der Straßenverkehrs-Ordnung, insbesondere den neuen §9 Absatz 6, zu halten‘.“ [7] Sondern hat bei der Rechtsabbiegeampel B7/Döppersberg gleich noch die Räumphase wegoptimiert, so daß Busfahrer noch in den Kreuzungsbereich reinbrettern können, wenn Fußgänger keine Sekunde später Grün signalisiert bekommen. [8]
Das ganze führt dank Landrecht zu der paradoxen Situation, daß Fußgänger bei grüner Fußgängerampel lieber den Bus durchwinken und damit auf ihren Vorrang verzichten. Denn was nützt Vorrang, wenn man damit unterm Bus liegt. Aber offensichtlich muß erst ein schwerer Abbiegeunfall passieren, bevor in diesem Kaff mal jemand mit Eier in der Hose aufwacht.
Foto 2: Fußgängergrün und Fußgänger? Egal, eingefahren wird trotzdem.
Fußgänger würden bei Grün gerne sicher die Straße queren und dabei nicht von Fahrplan-hastenden Busfahrern überfahren.
Hinweise, Quellen und Verweise
[1] https://cycleride.de/component/joomgallery/pannenflicken-21-22/pannenflicken-21-22-wuppertal/d3-abbiegen-und-dankbar-annehmen-1431.html#joomimg
[2] https://cycleride.de/component/joomgallery/pannenflicken-21-22/pannenflicken-21-22-wuppertal/e2-imagine-that-1433.html#joomimg
[3] Straßenverkehrs-Ordnung, § 9 Absatz 6:
Wer ein Kraftfahrzeug mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t innerorts führt, muss beim
Rechtsabbiegen mit Schrittgeschwindigkeit fahren, wenn auf oder neben der Fahrbahn mit
geradeaus fahrendem Radverkehr oder im unmittelbaren Bereich des Einbiegens mit die Fahrbahn
überquerendem Fußgängerverkehr zu rechnen ist.
[4] Schrittgeschwindigkeit = 4 bis 7 km/h, entsprechend (geteilt durch 3,6) 1,1 bis 1,94 m/s.
[5] Youtube: LKW und Rad-Kontrolle: Zu schnelles Abbiegen und Fahren bei Rot,
https://inv.nadeko.net/watch?v=kKft13nfqh0
[6] Youtube: „Schnell, schnell!“ LKW biegt FIX ab! |1/2| Kabel Eins | Achtung Kontrolle,
https://inv.nadeko.net/watch?v=vMBchGbOegM
[7] VO/1069/21: Schritttempo beim Rechtsabbiegen der WSW-Busse,
https://ris.wuppertal.de/getfile.asp?id=275303&type=do
[8]
Tips der Polizei Köln: https://koeln.polizei.nrw/artikel/verkehrsunfallursache-abbiegen
Unfälle zwischen Kfz und Radfahrern beim Abbiegen, Unfallforschung der Versicherer (PDF),
https://www.udv.de/resource/blob/74726/2ec206e1ccb74c9820ec236abdf6a1b9/37-unfaelle-zwischen-kfz-und-rf-beim-abbiegen-data.pdf
Foto 3, Kraftfahrermotto: „Ich sehe nichts, deshalb fahre ich jetzt.“ – Das Bild aus der Sicht eines Radfahrers wenige Meter, bevor ihn der Bus mit dem Heck überrollt. Solche Unfälle enden oft tödlich oder mit schweren Verletzungen.
Grün soll Fußgängern und Radfahrern ein sicheres Queren ermöglichen. Sicher ist nur, daß es in Wuppertal nicht sicher ist.
Weiter mit:
Auch der „Tote Winkel“ ist ein Mythos. Seit 2009 sind für alle Lkw und Busse so viele Spiegel vorgeschrieben, dass es rechts vom Fahrzeug keine toten Winkel mehr gibt. Schulkindern wird er nach wie vor weisgemacht. Warnende Angle-Morts-Aufkleber prangen nach wie vor wie eine Selbstamnestie auf jedem zweiten Lkw-Heck.
Dagegen galt bis Anfang 2023 beim Fahrlehrerverband Baden-Württemberg in der Prüfung beim Abbiegevorgang Schrittgeschwindigkeit noch als Fehler, wenn keine Fußgänger oder Radfahrer zu sehen waren, obwohl die Schritttempo-Regel seit 2020 gilt.
70 € und 1 Andi-Scheuer-Punkt stehen geduldig auf dem Papier. Wenn die Polizei es schafft, wenigstens das Vorrangrecht des Geradeausverkehrs beim Abbiegen durchzusetzen, können sie von mir aus da stehen bleiben.
Schrittgeschwindigkeit muß nicht auf den Kilometer genau definiert sein. 4 bis 7 oder maximal 10 km/h sind wohl konkret genug.
LKW haben fünf oder mehr Spiegel, aber nicht die Linienbusse. Aber auch die kann ein Fahrer nur nacheinander betrachten und nicht alle gleichzeitig. Also: beim Abbiegen immer schön langsam fahren.
Lkw haben seit 2009 immer 6 Spiegel: 2 Hauptspiegel, 2 Weitwinkelspiegel, 1 Frontspiegel, 1 Rampenspiegel. Manchmal – vor allem bei Linienbussen – ersetzt eine Glastür den Rampenspiegel (und eine tiefe Frontscheibe den Frontspiegel).
Zum Rechtsabbiegen reicht ein Blick, um die gesamte rechte Fahrzeugseite zu erfassen. Wer den nicht macht, sollte nicht abbiegen – egal bei welchem Tempo.
Schrittempo kann zumindest helfen, plötzlich aus dem „toten Winkel“ auftauchende Fußgänger oder Radfahrer zu erkennen und noch rechtzeitig zu bremsen. Zumindest in einigen Berichten ist von weniger Unfallopfern bei Abbiegeunfällen die Rede.
Daß Anregungen geschrieben werden müssen, die anregen, sich doch anregend an die Verkehrsregeln zu halten, ist für sich genommen schon ein Witz. Wenn dann aber die offizielle Stadtverwaltung die Anregung ablehnt mit der Begründung, die städtische Tochter hätte –zusätzlich zur StVO– eine Betriebsanweisung verfaßt, und trotzdem hält sich niemand mit den babyblauen Bussen an das Schrittempo, dann macht das die Komödianten arbeitslos: wo ist die versteckte Kamera? Wo sind die Zwangsjacken? Wie lautet der richtige Name für das Rathaus?
Das ganze erinnert an die angeblich vorhandene „Ausnahmeerlaubnis“ für die Ex-Fußgängerzone Friedrichstraße. Dort verkaspern Stadt und WSW Interessierte bis in die 2010er mit der Angabe, die WSW-Busse dürften in der Fußgängerzone bis zu 25 km/h fahren. Komischerweise fahren dort alle Fahrzeuge 20-25 km/h. Erst beim Gerichtsprozeß (VG) stellt man rein zufällig fest *Tusch*: eine Ausnahmegenehmigung gab es nur gaaaanz am Anfang und wurde nie verlängert – und hätte vorhersehbar gerichtlich auch keinen Bestand gehabt. Alleine der ganze Busverkehr nimmt der Fußgängerzone ihren Charakter von Aufenthaltsqualität und sicherer Zone für Fußgänger.
„Schrittgeschwindigkeit“ muß nicht zwingend auf den kmh genau definiert sein. Die einen sagen 4 bis 7, auf jeden Fall nicht schneller als 10 km/h.
Mit ihren schriftlichen Kabaretteinlagen, äh, Dienstanweisungen, haben die WSW ja Erfahrung, wie mit dem aufgemalten „Tempo 30“ auf der Pseudobusspur auf dem Hofkamp. Tempo 30 entfaltet nur als Verkehrszeichen Gültigkeit, nicht als aufgemalte Straßenkunst. Weil Amt 104 aber kein Verkehrszeichen „Tempo 30“ aufstellen will, ist die Einhaltung des nicht existenten Tempo 30 angeblich in einer Dienstanweisung geregelt.
Schritttempo beim Abbiegen gehört zu den Verkehrsregeln aus der Andi-Scheuer-Ära. Sie klingen fußgänger- und radfahrerfreundlich, sind aber weder nützlich noch effektiv kontrollierbar.
Problem 1: Schritttempo ist in Deutschland nicht definiert. Die Polizei in Bayern z.B. hält „4 bis 7 aber max. 11 km/h“ für eine klare Definition.
Problem 2: Kurvengeschwindigkeiten sind kaum genau messbar. Bei ständiger Winkeländerung messen Radarpistolen immer ein zu geringes Tempo.
Problem 3: Der Nutzen der Regel ist fraglich. Abbiegeunfälle passieren, wenn Lkw- und Busfahrer nicht aufpassen, und sind bei Schritttempo genauso gefährlich.
Weite Kurvenradien oder tief in die Einmündung hineingezogene Furten (, die aus bevorrechtigten Fußgängern und Radfahrern straßenüberquerende machen,) oder Heckaufkleber an WSW-Bussen der Marke „Lass mich vorbei, ich kann dich nicht sehen.“ helfen, die Situation zu verschärfen.
Ein Bürgerantrag „Busfahrer sollen sich an die StVO halten“ hilft trotzdem wenig. Alle Verkehrsteilnehmer müssen sich an die Verkehrsregeln halten und brauchen dafür keine Dienstanweisung vom Arbeitgeber.