Sinn und Zweck von „Vision Zero“ im Straßenverkehr

Die Grundlage einer präventiven Straßenverkehrssicherheit

„Vision Zero“ ist eine präventive Planung des Straßenverkehrs, die die Vermeidung schwerer Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden zum Ziel hat. Der Gesetzgeber hat den kommunalen Straßenverkehrsbehörden dieses als oberstes Prinzip der Straßenverkehrs-Ordnung in die Verwaltungsvorschrift (VwV-StVO) verpflichtend vorgegeben.¹⁾ Bei der Arbeitssicherheit ist dieses Prinzip bereits seit den 90er-Jahren EU-weit Standard.²⁾

Als reine Verwaltungsvorschrift entfaltet diese Richtlinie keine Außenwirkung. Allerdings dürfen die Verkehrsteilnehmer erwarten, dass sich die Verwaltungsbehörde über Richtlinien zur Handhabung des Verwaltungsermessens, die eine gleichmäßige Behandlung sicherstellen sollen, im Einzelfall nicht ohne sachliche Gründe hinwegsetzt.¹⁰⁾

Sichere Straßen nach diesem Prinzip werden so gestaltet und geschaltet, dass sie Fehler der Verkehrsteilnehmer ohne negative Konsequenzen für diese verzeihen. Beispiele sind:

• Führung von Radfahrern außerhalb der Türbereiche parkender Fahrzeuge,

• Haltezonen in den sich einander querende Verkehrsteilnehmer weithin sehen können,

• Ampel-Grünphasen, die das „noch schnell bei Gelb hindurchhuschen“ verhindern,³⁾⁺⁴⁾

• oder den Abbau von Grünpfeil-Blechschildern (Zeichen 720 StVO), wenn man weiß, dass dieses Zeichen viele Autofahrer als Einladung verstehen, ohne Halt vor der Haltlinie rechts abzubiegen, obwohl Fußgängern häufig gleichzeitig „Grün“ signalisiert wird.⁵⁾

Praxis in Wuppertal: Ausreden und Ausflüchte

In Wuppertal betreibt man Verkehrspolitik mit Ausreden und aktiver Verkehrsgefährdung – prominentes Beispiel ist die Freigabe der Einbahn Hünefeldstraße in Gegenrichtung für den Radverkehr.

(1) Nummer 1 der Ausreden ist der Satz: „Ein Unfallschwerpunkt liegt nicht vor, die Kreuzung ist unauffällig.“⁴⁾ – Unfälle und Beschwerden seien an einem bestimmten Punkt auch nach Rücksprache mit der Polizei nicht bekannt.

→ Erstens ist diese Feststellung für eine präventive Unfallverhütung belanglos. Zweitens landen sämtliche „Beinaheunfälle“ in keinereiner Statistik, verpflichten aber die Straßenverkehrsbehörde bei Inkenntnissetzen zu geeigneten Maßnahmen, Gefahrenstellen und -lagen zu beseitigen.

(2) Nummer 2 der Ausreden bei Gehwegparken u.ä.: Das Ordnungsamt ist zuständig, nicht die Straßenverkehrsbehörde! Denn: „Die wirksamste Methode um Verkehrsordnungswidrigkeiten zu verhindern, ist die regelmäßige Überwach(s)ung solcher Bereiche.“⁶⁾ (Rechtschreibung Original.)

→ Sind die angeordneten Maßnahmen (Verkehrszeichen, Markierungen) inklusive deren Kontrollen ungeeignet, Verkehrsteilnehmer zur Einhaltung der Verkehrsregeln anzuhalten, sind von der Straßenverkehrsbehörde selbstverfreilich andere, geeignete(re) Maßnahmen vorzunehmen (Reduktion des Entschließungsermessens auf Null).⁷⁾ Dazu steht „Vision Zero“ in der VwV zur Straßenverkehrs-Ordnung und nicht im Ordnungswidrigkeitengesetz.

(3) Weglassen wesentlicher Regelungsteile, wie bei Tempo 30 vor Schulen, Kindergärten: Die zulässige Geschwindigkeit ist im unmittelbaren Bereich vor Schulen, Kindergärten u.s.w. auf 30 km/h zu beschränken. Dies gilt (a) für die Straßen mit direktem Zugang zu diesen Einrichtungen und (b) – was die Straßenverkehrsbehörde gerne unterschlägt⁸⁾ – auch im Nahbereich der Einrichtungen starker Ziel- und Quellverkehr mit all seinen kritischen Begleiterscheinungen (z. B. Bring- und Abholverkehr mit vielfachem Ein- und Aussteigen, erhöhter Parkraumsuchverkehr, häufige Fahrbahnquerungen durch Fußgänger, Pulkbildung von Radfahrern und Fußgängern).

→ Beispiel 1: Am Westfalenweg gibt es eine katholische und eine städtische Kita (Metzmacherstraße), die keinen direkten Zugang dorthin haben, deren Zubringer aber ausschließlich über den Westfalenweg verlaufen. Wenn hier also angeblich kein typischer Verkehr nach Punkt (b) stattfindet⁸⁾, müssten sich Eltern und Kinder in Luft auflösen. Für Tempo 30 ist dann auch unerheblich, ob es sich um eine Hauptverkehrsstraße handelt – das Tempolimit ist für die Verkehrssicherheit „in der Regel“ anzuordnen.

→ Beispiel 2: Jeden Morgen passieren etwa 80 Schüler der Grundschule Kratzkopfstraße die stark befahrene Lüttringhauser Straße. „Typischer Schülerverkehr“ liegt hier unzweifelhaft vor. Die Fußgängerampel, die Fußgänger beim Queren der Lüttringhauser schützen soll, ist dabei so talentfrei nah an der Einmündung An den Friedhöfen plaziert, dass Autofahrer beim Rechtsabbiegen auf die Lüttringhauser praktisch in der Fußgängerfurt stehen, die Rotphase „übersehen“ und dann durchbrettern, während den Fußgängern Grün signalisiert wird. Eltern müssen deshalb einen morgendlichen Lotsendienst einrichten und entweder vor die Rotlichtfahrer springen, oder die Kinder zurückhalten, damit sie nicht vom Auto erfasst werden.

Für die Straßenverkehrsbehörde ist dies natürlich kein Grund, hier tätig zu werden.⁹⁾

Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Stellvertretend für den unsicheren Radverkehr seien die zahllosen Leserbriefe zu der Hünefeldstraße genannt, oder aber die Ablehnung der Straßenverkehrsbehörde, Radwege baulich von der Fahrbahn zu trennen, auch wenn die hundertfache tägliche Benutzung der Radwege durch Kraftfahrzeuge belegt ist.¹¹⁾

Als letztes Glied in der Kette wirkt die städtische Unfallkommission. Die weist dann bei Unfallhäufung wie Am Diek/Vor der Beule die Straßenverkehrsbehörde zu konkreten Maßnahmen an, wenn die ihre gesetzlichen Aufgaben insbesondere zu „Vision Zero“ nicht erfüllt. Also zu einem Zeitpunkt, wo eigentlich alles zu spät ist.

Verweise

1) Randnr. 1 zu § 1, Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO)
https://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_26012001_S3236420014.htm

2) https://de.wikipedia.org/wiki/Vision_Zero

3) Gemeinsamer Antrag BV Langerfeld-Beyenburg, VO/1030/23;
https://ris.wuppertal.de/getfile.asp?id=319474&type=do

4) Antwort zu 3), VO/0057/24;
https://ris.wuppertal.de/getfile.asp?id=324565&type=do

5) Beschlussvorlage zum Bürgerantrag zum Abbau des Grünpfeils am Košice-Ufer, VO/1112/18;
https://ris.wuppertal.de/to0050.asp?__ktonr=88860

6) Beschlussvorlage, VO/0132/24;
https://ris.wuppertal.de/getfile.asp?id=325667&type=do

7) Verwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 11.11.2021, – 5 K 1968/19 –, administratives Einschreiten gegen Gehwegparken;
https://www.verwaltungsgericht.bremen.de/sixcms/media.php/13/19_1968_K_5.pdf

8) Einrichtung einer Tempo-30- Strecke im Westfalenweg zwischen Nevigeserstraße und Hainstraße, VO/1023/21;
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=25775

9) Beschlussvorlage, Einrichtung einer Tempo 30-Strecke auf der Lüttringhauser Straße sowie Versetzung einer Lichtsignal-Anlage, VO/0718/22 in wundersamer Neufassung;
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=27464

10) OLG Celle, Beschluss vom 19.01.2024 – 2 ORbs 348/23 –, OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2011 – 311 SsRs 114/11 –, juris; BayObLG, Beschluss vom 04.09.1995 – 1 ObOWi 375/95 –, juris; OLG Dresden DAR 2010, 29.

11) Beschlussvorlage, Bauliche Trennung der Radwege am Beispiel Isländer Brücke, VO/1187/23
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=30964

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