17.12.2014Gedenkbuch Wuppertal
Tatort Burgholz?
An den Leiter der Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen
für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen
Oberstaatsanwalt Andreas Brendel
Staatsanwaltschaft Dortmund
Gerichtsplatz 1, 44135 Dortmund
Wuppertal 16.12.2014
Wir möchten Sie hiermit auf folgenden Sachverhalt aufmerksam machen und Sie auffordern ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Tötungsdelikte einzuleiten.
Es geht um das sog. Burgholz-Massaker von Ende Februar 1945, bei dem Wuppertaler Gestapo- und Kripobeamte 30 russische ZwangsarbeiterInnen ermordet haben. Der Tatort befindet sich in einem Waldstück bei Wuppertal in der Nähe eines Schießstandes der Polizei. Die erschossenen ZwangsarbeiterInnen wurden in einem Massengrab verscharrt, das erst nach der Befreiung im September 1945 entdeckt wurde. (siehe Fotos) 30 Leichen wurden gefunden und an anderer Stelle auf einem Friedhof in Wuppertal-Cronenberg beerdigt.
In Vorbereitung eines Projektes mit Jugendlichen zum 70. Jahrestag des sog. Burgholz-Massakers, habe ich vorletzte Woche mit der Projektgruppe eine Exkursion ins Burgholz gemacht, um den Standort des Massengrabes zu ermitteln, um in der nächsten Zeit Gedenktafeln und Hinweistafeln aufzustellen.
Dabei stellte sich heraus, dass es in der Nähe des ehemaligen Schießstandes im Wald nicht nur eine Grube gibt, sondern dass in der Nähe des lokalisierten Massengrabes zwei weitere, in der Größe ähnliche Gruben im Wald ausgehoben und bis heute erkennbar sind. Darüber hinaus soll es in der Nähe des Massengrabes 8 weitere Gruben geben. Möglicherweise handelt es sich bei den entdeckten Gruben um weitere Massengräber und /oder für Hinrichtungen vorbereitete. Gruben. Das müsste natürlich polizeilich bzw. von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Dortmund untersucht werden.
Aus unserer Sicht gibt es ernstzunehmende Hinweise auf weitere Tötungsdelikte im Waldgebiet Burgholz in der NS-Zeit:
1. Auszug aus der Personalakte Wilhelm Ober (Kripo), u.a. Mitglied der Einsatzgruppe C, EK 6 in der Ukraine:
„Ober trug an dem Tage die SD-Uniform. Dabei fragte ich ihn, wie er zu dieser Uniform käme, worauf er mir antwortete, sie hätten an dem fraglichen Tage im Burgholz mehrere Russen erschossen, woran auch er teilgenommen hätte. Hierbei äußerte er noch, dass das eine ganz prima Angelegenheit [sic] wäre, und am kommenden Dienstag würden weitere Erschießungen vorgenommen. Sofern ich Lust hätte, würde er mich dazu einladen. Ich habe dieses Ansinnen jedoch sofort abgelehnt, und wir haben über dieses Thema nicht weiter gesprochen. Hierzu kann u.a. auch Herr Herbert Römer von Schloß Lüntenbeck gehört werden.“
(Aussage von Artur Hugendick 19.6.1947, Personalakte Wilhelm Ober )
2. Es gibt Aussagen der Burgholz-Täter, dass das „Massengrab“ bereits Anfang Februar 1945 von Häftlingen ausgehoben wurde und die Ausschachtungsarbeiten 2 Wochen gedauert hätten. Das wäre für ein Grab eine sehr lange Zeit.
Lorenz Waldorf: „Etwa Anfang Februar bekam ich den Auftrag von Hufenstuhl, ein Loch, 12 x 2, und 2 Meter tief, anfertigen zu lassen. Die Ausgrabung wurde durch ein Kommando des Polizeipräsidiums Wuppertal durchgeführt. Ich bin daraufhin mit einem Wachtmeister der Schutzpolizei zum Schießstand Burgholz gefahren, wo ich nach Anweisung des Schießstandwärters Hagemeyer, dem Polizeibeamten die Stelle zur Ausgrabung angab. Am nächsten Morgen fuhr ich mit einem Arbeitskommando von etwa 10 Häftlingen und einer Begleitmannschaft von 2 Polizisten nach Burgholz, wo ich den ganzen Morgen bei der Ausgrabungsarbeit verblieb. Ich weiß nicht, was für Häftlinge es waren, die diese Arbeit verrichteten. Nach etwa 14 Tagen wurde die Fertigstellung der Ausschachtung der Dienststelle gemeldet. Ich wußte zu der Zeit nicht, weshalb diese Ausschachtung gemacht wurde. (…)
3. Willy Orlob (ehem. Häftling) berichtet sogar von 3 Wochen Arbeitszeit für die Ausschachtung:
„Ich führte das Arbeitsbuch im Gefängnis für etliche Zeit. Ich kann mich erinnern, daß ich von Ende Jan. 45 an für ungefähr 3 Wochen in das Arbeitsbuch eintrug: Ausschachtungsarbeiten in Burgholz, und die Zahl der Russen, die dabei beschäftigt waren. Ungefähr 8 – 10 Tage vor der Erschießung wurde mir von einem Polizeibeamten erzählt, daß dies ein Massengrab für die 30 Russen sein soll.“
4. Zur Größe des Grabes gibt es zwei Täter-Hinweise:
Lorenz Waldorf berichtet, dass das Grab nach der Hinrichtung nur in der Länge von 6 Metern Länge zugeschaufelt wurde und die offene Seite mit einer Holzwand abgesteckt war.
„Ich verblieb noch einige Zeit in der Nähe des Grabes und habe gesehen, wie weitere Gruppen erschossen wurden. Mit Bestimmtheit kann ich sagen, daß ich folgende Beamten habe schießen sehen: Orsin hat mit einer Dienstpistole geschossen. Poleschke hat ebenfalls mit seiner Dienstpistole geschossen. Klos schoß mit einer Maschinenpistole auf eine Gruppe, aber in einzelnen Schüssen ebenfalls Genickschüsse. Nachdem ich gesehen hatte, wie einige Gruppen dieser Russen umgelegt worden waren, wurde mir übel zu Mute und Beine, der die ganze Zeit am Grabe stand, gab mir den Auftrag, Schaufeln vom Schießstand zu holen, was ich auch tat. Als ich nach etwa 10 Minuten zum Grabe zurückkam, waren alle Russen bereits erschossen und lagen im Grab. Alle Beamten wurden jetzt gerufen und mußten sich alle an der Zuschaufelung des Grabes beteiligen. Von dem 12 Meter langen Grab wurden nur 6 Meter Länge zugeschaufelt, und die offene Seite mit einer Holzwand abgesteckt.“
(Eidesstattliche Erklärungen, Pro Kew WO 309/1139-1141, Burgholz I Case, Burgholz II Case)
Hingegen berichtet Arthur Peters (Gestapo):
„Als wir dort ankamen, gingen Beine, Poleschke, Lowinsky und ich von Waldorf geführt, zu der Stelle, wo die Erschießung stattfinden sollte. Es befand sich dort ein Grab, etwa 5 m x 3 m und 2 m tief.“
(Eidesstattliche Erklärungen, Pro Kew WO 309/1139-1141, Burgholz I Case, Burgholz II Case)
5. Die Wuppertaler Gestapo besaß keinen eigenen offiziellen Hinrichtungsplatz, es gab aber 1944 Hinrichtungen von Zwangsarbeitern, die mit einem mobilen Galgen von der Gestapo Wuppertal in einem Waldgebiet nördlich von Wuppertal bei Wülfrath durchgeführt wurden.
Zum möglichen Tatort Burgholz findet sich in den Unterlagen des Krematoriums Hagen ein Vermerk, dass der russische Zwangsarbeiter Wassili Podlesni am 5.7.1944 im „Waldgebiet Burgholz“ angebl. durch „plötzlichen Herzstillstand“ ums Leben gekommen ist. Unterschrieben war die Todesanzeige von der Wuppertaler Gestapo, die die Leiche aus dem Burgholz noch per Auto nach Hagen ins Krematorium bringen ließ. (Speer, Florian: Ausländer im „Arbeitseinsatz“ in Wuppertal, S. 474 )
Wassili Podlesni, geboren in Kalantschak 25.12.1900, 6.7.1944 in Hagen eingeäschert , im Waldgebiet Burgholz am 5.7.1944 wegen plötzl Herzstillstand verstorben. , Sammelgrab 556 in Hagen Delstern.
6. Der Terror der Gestapo eskalierte in den letzten Kriegswochen überall im Reich in „Vernichtungsorgien“ an Zwangsarbeitern und politischen Gegnern. Auf Todesmärschen aus den KZ´s, Gefängnissen und AEL´s wurden willkürliche Tötungen durch das Wachpersonal durchgeführt. So ist das Schicksal der Anfang April 1945 aus dem AEL Hunswinkel nach Wuppertal getriebenen 60 Häftlingen nach wie vor ungeklärt. Während der Gestapobeamte Friedrich Jentsch nach dem Krieg „beteuerte“, er hätte die Gefangenen in Wuppertal freigelassen, spricht ein ehemaliger Gefangener von der Erschießung der Gefangenen.
(Lotfi, Gabriele: KZ der Gestapo. Arbeitserziehungslager im Dritten Reich, S. 302-303, siehe auch Anm. 163: PRO K,WO 309/1145; Ermittlungen der Dortmunder StA, StA Münster, StA Do 1434-35; Lav NRW R. Rep. 231/522.)
7. Weitere Hinweise ergeben sich möglicherweise im Exhumierungsbericht in den britischen Akten in Kew, in den Forstunterlagen zum Waldgebiet Burgholz, in den Privatunterlagen des zuständigen Försters Heinrich Hogrebe, der nach dem Krieg für das Waldgebiet verantwortlich war.
8. Darüber hinaus sind möglicherweise Hinweise in den noch im Keller des Wuppertaler Polizeipräsidiums liegenden Personalakten zu finden, die wie die uns vorliegende Personalakte von Wilhelm Ober zeigt. In diesen Akten sind weitere Hinweise über die Tötungen im Burgholz und über weitere polizeiliche Nutzung des Schießstandes zu erwarten.
Zum Verständnis: Am 17. April 2010 beantragt die Tochter des oben zitierten Wilhelm Ober, Akteneinsicht in die Personalakte ihres Vaters beim Wuppertaler Polizeipräsidium. Die Polizeipräsidentin Radermacher antwortet am 18.Mai 2010 wie folgt: „Die Personalakte Ihres Vaters, Wilhelm Ober, wurde, nach dem der letzte Anspruch auf Versorgungsansprüche im Jahr 1997 erloschen war, dem Hauptstaatsarchiv zur Aufbewahrung angeboten. Da dieses die Akte nicht zur Aufbewahrung anforderte, wurde sie am 6.April 2006 vernichtet.“ Ein weiteres Dokument verweist auf die (vollzogene) Aktenvernichtung in der zuständigen Polizeischule in Selm
Nur wenige Monate später, im Rahmen der Dreharbeiten für die 2-teilige ARD-Dokumentation „Hitlers Polizei“ im Wuppertaler Polizeipräsidium kommt eine Angestellte mit der angeblich verbrannten Personalakte von Wilhelm Ober auf das Filmteam und auf Frau Bhatia zu. Mit dem Verweis, wir haben noch vielmehr im Keller, übergibt die Angestellte die Akte der Tochter, die sie gegen Quittung nach Hause mitnehmen kann. Die Wuppertaler Polizei hat seitdem nicht mehr nach dem Verbleib der Akte gefragt.
Die Personalakte enthält neben der schon zitierte Aussage zu den Tötungen im Burgholz auch einen Nachweis, dass Wilhelm Ober als Angehöriger der Wuppertaler Kripo zu der Einsatzgruppe C Einsatzkommando 6 einberufen wurde und 1941/1942 in der Ukraine eingesetzt war und damit an Massenmordaktionen beteiligt war. (Wäre der Vater nicht schon verstorben, wäre dieser Befund ein Grund für ein Ermittlungsverfahren wegen Beihilfe zum Mord.)
9. Abschließend sei daran erinnert, das die besagten Akten nach wie vor nicht an das zuständige Landesarchiv NRW abgeben wurden. Historisch wichtige Akten wie die Personalakte von Paul Kreber auf dem Weg ins Landesarchiv sogar verschwunden sind. Es wäre daher wichtig, das die Akten für die staatsanwaltlichen Untersuchungen und für die historische Forschung schnellst möglichst gesichert würden, damit die wertvollen Akten nicht im Zuge der anhaltenden Renovierung des Polizeipräsidiums vernichtet werden.
Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.
www.gedenkbuch-wuppertal.de
www.wuppertaler-widerstand.de
info@wuppertaler-widerstand.de
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das war 2014/2015 – was ist geschehen seit dem? NICHTS – zu dem Zeitpunkt lebte noch die Zeitzeugin Edith Enz geistig im Vollbesitz Ihrer Kräfte. Sie war zur gleichen Zeit mit den ZwangsarbeiterInnen im Polizeipräsidium inhaftiert. Das Urteil für sie Todesstrafe, wartete auf Ausführung, sie hatte einem „Kollegen“ gegenüber den Hitlergruß verweigert. Edith Enz durfte als Kapo die gefolterten Frauen mit Verbandszeug versorgen und sah deren Abtransport ins Burgholz. Das LKA hat mich ca. drei Stunden angehört, meine Akten und Dokumente ausgeliehen und (hoffentlich) auch gelesen, alles zurückgegeben. Der Beamte, der mich „anhörte“ rief dann eines Tages aus dem Burgholz an: „ich bin jetzt hier an der alten Gedenktafel – und wo ist das Massengrab?“