03.09.2023Gedenkbuch Wuppertal
Veranstaltungsreihe „1933 – Niemals vergessen!“ 2. Halbjahr 2023
Für die Veranstaltungsreihe haben wir prominente Referent:innen gewonnen, u.a. den bekannten britischen Historiker Richard J. Evans.
Wir starten unsere Veranstaltungsreihe mit der Präsentation unserer neuen Ausstellung „1933 – Niemals vergessen!“ am 25. September 2023 in der Universitätsbibliothek Wuppertal, Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal.
http://www.wuppertaler-widerstand.de/sites/default/files/2023-09/rz_Veranstaltungsprogramm_0923.pdf
Veranstalter:innen:
Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal in Kooperation mit Center for International Studies in Social Policy and Social Services der Bergischen Universität Wuppertal, Arbeit und Leben Berg-Mark, Rosa Luxemburg-Stiftung NRW, AStA der Bergischen Universität Wuppertal, GEW Stadtverband Wuppertal, Armin T. Wegner-Gesellschaft, Förderverein Konsumgenossenschaft „Vorwärts“ Münzstraße e. V.
Mit Unterstützung der Barmenia Krankenversicherung, der GEW Stadtverband Wuppertal und der Rosa-Luxemburg Stiftung NRW.
Einleitung
„Der Faschismus ist zurück“ schreibt der bekannte britische Journalist Paul Mason in seinem neuesten Buch „Faschismus und wie man ihn stoppt“. Seit 2008 hätten weltweit Bewegungen rechts von der politischen Mitte – Rechtsextremisten, Rechtspopulisten und autoritäre Konservative – ein gemeinsames Ziel gefunden: Die Errichtung illiberalen Demokratien, die in der Lage sind, Koalitionen von Autoritären und Rechtspopulisten dauerhaft an der Macht zu halten, die Untergrabung des Rechtsstaats und die Zerschlagung der auf Regeln beruhenden Weltordnung.
Angesichts dieser Entwicklungen ist das Thema unserer Ausstellung, die nationalsozialistische Machtdurchsetzung und der Terror gegen die Arbeiter:innenbewegung in Wuppertal, nicht nur von historischem Interesse.
In der wissenschaftlichen Forschung, so schreibt der Historiker Nikolaus Wachsmann, sei der Terror gegen die Linke 1933 zu Unrecht aus dem Blick geraten, u.a. wegen der Beschreibung des NS-Systems als „Rassenstaat“ und als „‚Volksgemeinschaft‘, die quer durch alle Schichten der Bevölkerung auf breiter Zustimmung gründete“. Diese neue Forschung habe unsere Erkenntnisse über die NS-Diktatur zwar wesentlich erweitert. Dadurch sei allerdings in den Hintergrund gerückt, dass es der Terror gegen die Linke war, der Deutschland „zur Einparteien-Diktatur formte und damit eine entscheidende Voraussetzung für die Überführung in einen Rassenstaat schuf“.[1]
In unserer Veranstaltungsreihe greifen wir diese Diskussion auf. Richard J. Evans spricht über Zwang oder Konsens bei der nationalsozialistischen Machtergreifung. Heinz Sünker thematisiert die Ideologie der Volksgemeinschaft als strukturierte gesellschaftliche Praxen des Einschlusses und des Ausschlusses.
Wir freuen uns sehr, dass wir zwei namhafte Experten über die Reaktion der europäischen Arbeiterbewegung auf die Machtübergabe gewinnen konnten. Stefan Berger referiert über die Reaktion der britischen Arbeiter:innenbewegung und Gerd-Rainer Horn über die Lehren aus der Niederlage in Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien.
Volker Ulrich, der jüngst das Buch „Deutschland 1923“ publiziert hat, diskutiert die Frage, inwieweit die dramatischen Ereignisse dieses Jahres, u.a. der Hitler Putsch, bereits auf das Jahr 1933 verweisen.
Leider hat der Widerstand von Frauen bis heute nicht die Beachtung und Würdigung gefunden, die er verdient. Darum freuen wir uns, dass wir mit Mareen Heying und Sandra Franz zwei Expertinnen für dieses Thema gewonnen haben.
Auf die Wuppertaler Geschichte gehen wir mit drei weiteren Beiträgen ein. Stephan Stracke ordnet die Geschichte des KZ Kemna in die regionale Widerstandsgeschichte ein und diskutiert die aktuelle Debatte um die geplante Gedenkstätte. Dieter Nelles und Peter-Paul Prietzel-Düwel referieren über das tragische Schicksal des im Dezember 1933 im Zuchthaus Münster verstorbenen Arztes Dr. Heinrich Singer. Über die Lebensgeschichte seines Sohnes Hans Wolfgang, der 1933 emigrierte und später ein weltbekannter Ökonom wurde, spricht Reinhard Priem. Singer machte die globale Ungleichheit und deren Überwindung für eine lebenswerte Zukunft der so genannten Entwicklungsländer zum zentralen Gegenstand seines Schaffens.
Ausstellung 1933 – Niemals vergessen! Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung und der Terror gegen die Arbeiter:innenbewegung in Wuppertal.
Im Rahmen unserer Aktivitäten zum Gedenkjahr „1933 – Niemals vergessen!“ hat unser Geschichtsverein eine mobile Ausstellung zu den lokalen Ereignissen in Wuppertal erarbeitet.
Wir haben die Ausstellung am 17. Juni 2023 auf dem Otto-Böhne-Platz im Rahmen eines Festes und in Anwesenheit von Angehörigen der Wuppertaler NS-Opfer feierlich eröffnet. Seit Anfang August 2023 wandert die Ausstellung durch verschiedene Schulen und wird ab dem 25. September 2023 auch in der Universitätsbibliothek der Bergischen Universität zu sehen sein.
Die mobile Ausstellung besteht aus 32 Rollups (100 x 200 cm) und 23 Gedenktafeln (40 x 40 cm)
Die Ausstellung verleihen wir gerne!
Verein zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V.
Kontakt: info@wuppertaler-widerstand.de
Mit Unterstützung des kommunalen Förderprogramms „Gemeinsam im Quartier“
Zur Ausstellung:
Auch 90 Jahre nach der Machtübernahme der NSDAP wissen wir erstaunlicherweise nur wenig über die lokalen Ereignisse. Nach wie vor wird die Stärke der Wuppertaler NS-Bewegung unterschätzt. Wer weiß schon von den mindestens 29 im Stadtgebiet verteilten SA-Heimen und SA-Kasernen, die die Arbeiterviertel bedrohten? Wer kennt die Standorte der Polizeigefängnisse, wo residierte die Politische Polizei und die Gestapo? Wo wurde gefoltert und misshandelt. Welche Bedeutung hatten die Nachrichtendienste von SA und SS? Wie agierten die Politische Polizei und die Schutzpolizei im Zusammenhang mit den Aktionen der SA und SS?
Wir möchten mit dieser Ausstellung die NS-Verfolgten und Widerstandskämpfer:innen würdigen und ihre Leidens- und Kampfgeschichten erzählen. Wir rekonstruieren die lokale Topographie des NS-Terrors und die Namen der NS-Täter:innen. Wer waren die Anführer der SA und SS? Wer verantwortete die ersten Verbrechen der Politischen Polizei und der Schutzpolizei? Wer arbeitete für die Nachrichtendienste der SA und SS? Wer verantwortete die Morde an den 20 Antifaschist:innen? Wer organisierte die Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte, Einheitspreisgeschäfte, Warenhäuser und Konsumläden?
Ein zentraler Bestandteil der Ausstellung sind die Lebensgeschichten der 20 Menschen, die in dem sehr kurzen Zeitraum von März 1933 bis Ende Juli 1933 in Wuppertal von SA und SS-Männern z.T. am helllichten Tag ermordet oder aus ihren Wohnungen gekidnappt und später getötet wurden.
Wir möchten uns mit dieser mobilen Ausstellung gezielt in die Stadtteile und Quartiere zu einer historisch-politischen Spurensuche begeben. Unsere Adressat:innen sind insbesondere die Bewohner:innen der Quartiere und die anliegenden Schulen, Gemeinden und Vereine. Mit der Ausstellung streben wir eine Rekonstruktion der im Stadtgedächtnis vergessenen Verfolgungsorte und Verfolgten-Gruppen an. Angedacht sind auch Stadtteilbroschüren mit Stadtteilquiz und speziellen Arbeitsblättern für die Schulen, aber auch temporäre Gedenkinstallationen, die vielleicht dafür sorgen, dass das Schicksal der ein oder anderen Widerstandskämpfer:in aus dem Viertel in Erinnerung bleibt.
Januar 1933
- Maria Runkel und ihr Lokal „Zum Reichsbanner“
- 30. Januar 1933 / 31. Januar 1933
- SA-Stützpunkte
- Die Wuppertaler SS
Februar 1933
- 19.2.1933 Barmer Blutsonntag
- 19.2.1933 Bewaffneter Angriff auf SA-Männer auf dem Rott
- „Wieder ein blutiger Sonntag“ Der 26. Februar 1933 in der Wirkerstraße.
- Angriffe auf das katholische Milieu
- Die Nazifizierung der Polizei
- Rolle der Schutzpolizei
März 1933
- Politische Kräfteverhältnisse
- Politische Polizei
- Oswald Laufer – das erste Opfer der Nazibarbarei in Wuppertal.
- Die ersten Boykottaktionen
- Der Terror gegen die jüdischen Anhänger der Arbeiterbewegung.
April 1933
- SA-Kaserne Münzstraße
- Der Terror gegen die jüdischen Ärzte
- Betriebsratswahlen
Mai 1933
- Der braune 1. Mai in Wuppertal
- „Das Ende der Wuppertaler Freien Gewerkschaften“
- Die SA-Unterkunft Aue – eine vergessene Folterstätte
- Der Mord an Alfred Meyer
Juni 1933
- Angriffe aufs „Petroliumsviertel“
Juli 1933
- KZ Kemna
- Im Viertel der „Anilin-Bolschewisten“
August 1933
- Razzia am Klingholzberg
- Fußball gegen Faschist:innen
September 1933
- Kemna-Wachmannschaft
Oktober 1933
- Ehrenbegräbnis für den SA-Mörder August Puppe
November 1933
- Die NS-Bewegung und die evangelische Kirche in Wuppertal
Dezember 1933
- Der Tod von Dr. Heinrich Singer
- In Erinnerung an die Gefangenen des KZ Kemna
25.9.2023
1933 Niemals vergessen! Die nationalsozialistische Machtdurchsetzung und der Terror gegen die Arbeiter:innenbewegung in Wuppertal.
Ausstellungseröffnung mit Prof. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal; Prof Heinz Sünker; Ulrich Jacobs, GEW Stadtverband Wuppertal und einer Vertreter:in des AStA der Bergischen Universität Wuppertal.
Musik: Ulrich Klan
In Kooperation mit der Universitätsbibliothek Wuppertal und dem Centre for International Studies in Social Policy and Social Services der Bergischen Universität Wuppertal
15:00 Uhr
Universitätsbibliothek Wuppertal, Gaußstr. 20, 42119 Wuppertal
5.10.2023
Prof. Richard J. Evans
Die nationalsozialistische Machtergreifung: Zwang oder Konsens?
Seit der Jahrhundertwende gibt es eine deutliche Tendenz unter Historiker:innen, das sogenannte „Dritte Reich“ als eine „Konsensdiktatur“ darzustellen. Der kanadische Historiker Robert Gellately argumentiert z. B., dass die sogenannte nationalsozialistische Machtergreifung in Realität keine war. Gewalt sei nur gegen kleine, sozial marginale Minderheiten angewendet worden, und ab Mitte 1933 sei das System der Konzentrationslager rapide abgebaut worden, so dass sich dort zwei Jahre später weniger als 4 000 Gefangene befanden, ein Zeichen dafür, dass die Nationalsozialisten die Bevölkerung überhaupt nicht mehr einzuschüchtern brauchten. Die Gestapo, so Gellately und auch der Historiker Götz Aly, sei eine sehr kleine Organisation gewesen: sie war kein allesüberwachender Terrorapparat, sondern verarbeitete von einfachen Bürgern eingesandte Denunziationen. Die deutsche Gesellschaft sei deshalb eine „selbstüberwachende Gesellschaft“ gewesen. Die Mitte der 1990er Jahr von Eric Johnson und Karl Heinz Reuband durchgeführte Befragung von älteren Deutschen, die das „Dritte Reich“ miterlebt hatten, ergab, dass sich die überwiegende Mehrheit der Befragten im Rückblick nie gefürchtet hatte, von der Gestapo verhaftet oder in ein Konzentrationslager verschleppt zu werden. Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass das Bild einer totalen Integration der Arbeiterschaft in die rassistisch bedingte nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“ ebenso einseitig sei; die Begriffe einer „sich-selbst überwachende Gesellschaft“ oder einer „Zustimmungsdiktatur“ (Götz Aly) unterschätzten sehr stark die terroristischen Elemente der nationalsozialistischen Herrschaft. In seinem Vortrag unternimmt Richard J. Evans eine kritische Auseinandersetzung mit beiden Seiten der Kontroverse und versucht, zu einem abgewogenen Ergebnis zu kommen.
Richard J. Evans wurde 1947 geboren und ist in London aufgewachsen. Studium an der Universität Oxford, Lehrtätigkeit in London und Cambridge. Seit 2014 ist er emeritierter Professor an der Universität Cambridge. Zahlreiche seiner Bücher sind auf Deutsch erschienen, u.a.: Das Dritte Reich (3 Bde., DTV 2005-2010), Das europäische Jahrhundert (DTV 2016) und Das Dritte Reich und seine Verschwörungstheorien (DVA 2020).
19.30 Uhr
Bergische VHS/Auerschulstraße 20
In Kooperation mit der Bergischen Volkshochschule und der Buchhandlung Mackensen
18.10.2023
Prof. Heinz Sünker
Volksgemeinschaftsideologie.
Zur Gesellschaftsgeschichte des Nationalsozialismus
Aufbauend auf grundlegenden Analysen von Franz Neumann, Theodor W. Adorno und Timothy Mason zum „Funktionieren“ der nationalsozialistischen Gesellschaft wird die Logik der ideologischen Fundierung in der Gestalt der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ entziffert. Diese rassistische Ideologie strukturierte gesellschaftliche Praxen des Einschlusses – als Prämierung – und des Ausschlusses – als Verfolgung, Einsperrung, Mord und Shoah wie Porajmos. „Volksgemeinschaft“ bedeutete die Realisierung von Gesellschafts-, Arbeits- wie Sozialpolitik als Kombination von Repression und „Wohlfahrt“, letzteres als „Volkspflege. Dies verband sich mit dem Versuch, die NS-Gesellschaft als Erziehungsstaat zu etablieren, um unter dem Schein der Klassenlosigkeit mit feudaler Semantik ein kapitalistisches Akkumulationsregime zu sichern.
Heinz Sünker, Prof. für Sozialpädagogik/Sozialpolitik an der Bergischen Universität, danach dort Rudolf-Carnap-Senior-Professor; Honorary Professor an der Universität Aarhus/DK. Studium an den Universitäten Münster und Heidelberg (Germanistik, ev. Theologie, Philosophie, Erziehungswissenschaft). Promotion und Habilitation an der Universität Bielefeld. Forschungsgebiete: Westlicher Marxismus/Kritische Theorie; Theorie und Geschichte Sozialer Arbeit, Kritische Bildungstheorie und Bildungsforschung, Nationalsozialismus und Widerstand, Kindheitsforschung.
19.30 Uhr
Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8
23.10. 2023
Dr. Stephan Stracke
KZ Kemna – Das Bergische Konzentrationslager. Widerstandsgeschichte und Geschichtspolitik
Vor 90 Jahren eröffnete der Wuppertaler Polizeipräsident und SA-Brigadeführer Willi Veller ein Schutzhaftlager in einer leerstehenden Fabrik. Das „Konzentrationslager Wuppertal-Barmen“, so der offizielle Name, wurde das größte Lager für Schutzhafthäftlinge für den gesamten Regierungsbezirk Düsseldorf. Nach neusten Forschungen waren dort vom 5. Juli 1933 bis zum 19. Januar 1934 insgesamt 2.000 Antifaschisten und Aktivisten vor allem aus der Bergischen Arbeiterbewegung inhaftiert. Aus Solingen waren mindestens 90 Antifaschisten in der Kemna eingesperrt. Heinrich Schroth, der spätere Landtagsabgeordnete und Theo Deis, der bekannte Spanienkämpfer, wurden besonders schwer gefoltert. Inhaftiert wurden Nazigegner jeder Couleur: Kommunisten, Sozialdemokraten, Zentrums-Anhänger, Polizei-Gewerkschafter, aber auch in Ungnade gefallene SA-Leute und Polizisten.
Auf der Veranstaltung soll es auch um die Strafverfolgung der NS-Täter aus der Wachmannschaft, aus der Politischen Polizei und der SS gehen.
Schließlich sollen die aktuellen „Geschichtspolitiken“ und die vorgeschlagenen historisch-politischen Konzepte am Beispiel des neuen „Geschichtsortes Kemna“ diskutiert werden.
18:30 Uhr
VHS Solingen, Mummstr. 10
Stephan Stracke ist Mitglied des Vereins zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V. Er studierte Geschichte an der Bergischen Universität Wuppertal und promovierte an der FU Berlin mit einer Arbeit über die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse
9.11.2023
Dr. Volker Ullrich
Deutschland 1923. Das Jahr am Abgrund.
1923 erlebt Deutschland einen Sturz ins Bodenlose. Französische und belgische Truppen marschieren ins Ruhrgebiet ein. Die Hyperinflation erreicht ihren bizarren Höhepunkt und stürzt breite Bevölkerungsschichten ins Elend. Während die Vergnügungsindustrie boomt, herrscht politisch der Ausnahmezustand. Separatistische Bestrebungen bedrohen den Bestand des Reiches, rechte und linke Extremisten setzen zum Sturm auf die Republik an. Und in München unternimmt ein Mann einen Putsch, dessen Name sich der Welt noch einprägen wird: Adolf Hitler. Volker Ullrich lässt in seinem Vortrag die dramatische Ereignisse Revue passieren und diskutiert die Frage, inwieweit sie bereits auf das Jahr 1933 verweisen.
Volker Ullrich ist Historiker und Journalist. Von 1990 bis 2009 leitete er das Ressort „Politische Buch“ bei der Wochenzeitung DIE ZEIT. Zu seinen Werken gehören die zweibändige Hitler-Biografie (S. Fischer Verlag 2013 und 2018) und der Bestseller „Acht Tage im Mai“ (C. H. Beck 2020).
19.30 Uhr
Bergische VHS Auerschulstraße 20
In Kooperation mit der Bergischen Volkshochschule und der Buchhandlung Mackensen
23.11.2023
Prof. Stefan Berger
Die Reaktion der britischen Arbeiterbewegung auf die Machtergreifung Hitlers
Der Vortrag beschäftigt sich vor dem Hintergrund der Beziehungen der britischen Arbeiter:innenbewegung zu Deutschland in der Zeit der Weimarer Republik mit ihren Reaktionen auf die Machtergreifung Hitlers. Ein Schwerpunkt wird dabei auf den Reaktionen der britischen Labour Party liegen. Sowohl die Zeit des Ersten Weltkriegs als auch sehr unterschiedliche Deutschlandbilder auf der britischen Linken spielen eine große Rolle, um die z.T. sehr unterschiedlichen Reaktionen zu erklären. Anhand von unterschiedlichen Protagonisten im Umfeld der britischen Arbeiter:innenbewegung wird der Vortrag diese Reaktionen beleuchten.
Stefan Berger ist Professor für Sozialgeschichte und soziale Bewegungen und Direktor des Instituts für soziale Bewegungen sowie Vorstandsvorsitzender der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets. Er promovierte 1990 in Oxford mit einer vergleichenden Arbeit über die britische Labour Party und die deutsche Sozialdemokratie, die 1997 in deutscher Übersetzung erschien. Er beschäftigt sich u.a. mit der Geschichte der Arbeiter:innenbewegung und der sozialen Bewegungen sowie mit der Geschichte der Regionen der Schwerindustrie (insbesondere Deindustrialisierungsprozesse und Industriekultur), der Geschichte der nationalen Identität und des Nationalismus und Geschichte der Geschichtsschreibung. Seine neueste Veröffentlichung: History and Identity. How Historical Theory Shapes Historical Practice (Cambridge University Press 2022)
19.30 Uhr
Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8
30.11.2023
Prof. Gerd-Rainer Horn
Vom Bruderkampf zur Einheitsfront.
Lehren aus der deutschen Niederlage im In- und Ausland
Vor der Machtübernahme der NSDAP Ende Januar 1933 gab es nur eng begrenzte Versuche, dass ruderlose Steuer der europäischen Linken herumzureißen. Seit 1927 befanden sich sowohl die Sozialdemokratie als auch der moskauorientierte Kommunismus in einer Phase des intensiven gegenseitigen Bruderkampfes. Der Sieg des italienischen Faschismus in den zwanziger Jahren hatte nur wenig zu einer Ernüchterung der beiden verfeindeten Lager beigetragen. Und auch in den ersten Monaten nach der Machtübernahme gab es wenig Veränderung in dieser Sachlage. Erst gegen Ende des Jahres 1933 und dann immer schneller im Laufe des ersten Halbjahres 1934 kam es in beiden Lagern zu einer Annäherung im Angesicht des gemeinsamen Feindes. Im späten Frühjahr und dem Sommer 1934 wurden eine Reihe von einflussreichen Einheitsfronten in verschiedenen Ländern Europas verabschiedet, die allesamt das Erstarken des Faschismus zu bekämpfen versuchten. In diesem Vortrag werden wichtige Momente dieser Übergangsperiode in einer Reihe von westeuropäischen Ländern unter die Lupe genommen (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich, Spanien).
Gerd-Rainer Horn unterrichtet die Geschichte sozialer Bewegungen des zwanzigsten Jahrhunderts am Pariser Institut d’Études Politique (Sciences Po) unter besonderer Betrachtung der transnationalen Aufarbeitung dieser Thematiken in Westeuropa. Er hat sich unter anderem ausführlich mit den ‚1968er Jahren‘ sowie dem Linkskatholizismus befasst.
Seine erste Buchveröffentlichung war: European Socialists Respond to Fascism: Ideology, Agency and Contingency in the 1930s (Oxford University Press, 1996; 2020 als Paperback neu aufgelegt). Seine neueste Veröffentlichung ist The Moment of Liberation in Western Europe: Power Struggles and Rebellions, 1943 – 1948 (Oxford University Press, 2020).
19.30 Uhr
Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8
5.12.2023
Dr. Mareen Heying/Sandra Franz
Mehr als Ehefrau, Mutter und Köchin. Aktivismus von und Repression gegen politische Frauen vor und nach 1933
Das Jahr 1933 war eine klare Zäsur in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung Deutschlands. Die nationalsozialistische Politik war darauf ausgerichtet, Modernisierungsversuche der Weimarer Republik zu beenden und rückgängig zu machen. Die neue Regierung legitimierte Gewalt gegen politisch Andersdenkende von Beginn an. Frauen, die sich ihrer ab 1933 bestimmten Rolle als Ehefrau, Mutter und Köchin widersetzten und/oder sich politisch betätigt haben, waren aus NS-Sicht grundsätzlich mehrfache „Feindbilder“, da sie politisch und gesellschaftlich gegen die nationalsozialistischen Vorstellungen von „Weiblichkeit“ und „Volksgemeinschaft“ verstießen. Zudem waren sie oft Vertreterinnen von oppositionellen Parteien.
Der Vortrag zeigt anhand von einzelnen Biografien den nationalsozialistischen Terror ab 1933 auf und verdeutlicht, wie sich Frauen gegen die zunehmende Repression wehrten. Der Fokus wird auf Politikerinnen gelegt, die vor 1933 in Parlamenten arbeiteten, wie auch auf Widerstandskämpferinnen, die ab 1933 gegen den Nationalsozialismus aktiv waren. Frauen haben meist weniger öffentlich Politik betrieben als Männer, auch um von den Nationalsozialisten nicht gefasst zu werden. Dabei waren ihre Rollen und Positionen sehr relevant, antifaschistische Politik und Widerstandsfähigkeiten wäre ohne Frauen nicht möglich gewesen. Ihr Aktivismus wurde von Zeitgenossen und späteren Historikern lange unterschätzt und nicht gewürdigt.
Mareen Heying ist Historikerin und arbeitet seit vielen Jahren zum antifaschistischen Widerstand von Frauen. 2012 hat sie zusammen mit Florence Hervé die Broschüre „Frauen im Widerstand. 1933–1945. Düsseldorf“ verfasst. Intensiv hat sie zur Widerstandskämpferin Klara Schabrod geforscht und die Ergebnisse publiziert: „sei innigst umarmt und geküsst“. Klara Schabrod – Alltagskonstruktionen einer Kommunistin in Briefen zur Zeit des deutschen Faschismus, Bochum 2014. Sie befasst sich zudem mit der Geschichte von Sexarbeit, mit Protest- und sozialen Bewegungen. Aktuell forscht sie zur Figur des „Trunkenboldes“ und zur Arbeiterkneipe. Sie wurde von den Universitäten Bochum und Bologna promoviert und hat an den Universitäten von Düsseldorf und Hagen als wissenschaftliche Mitarbeiterin geforscht und gelehrt.
Sandra Franz ist Historikerin und Jiddistin. Sie studierte an der HHU Düsseldorf und der University of Oxford. Sie war von 2011 bis 2016 wissenschaftliche Angestellte am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der HHU und von 2009 bis 2018 freie Mitarbeiterin der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf. Sie war beteiligt an transnationalen Projekten mit Großbritannien, Südkorea und den USA. Seit 2018 leitet sie die NS-Dokumentationsstelle in Krefeld. Zudem schreibt sie aktuell an ihrem Promotionsprojekt: „Strange people in a strange, enemy country: Das britische Deutschlandbild der Besatzungsmacht 1944-1953“, welches sie voraussichtlich 2024 abschließen wird. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Jüdische Gesellschafts- und Emanzipationsgeschichte, Holocaust-Studien, Antisemitismus-Prävention, deutsch-britische Geschichte, die britische Besatzungszone nach 1945, sowie viktorianische Trauerkultur.
19.30 Uhr
Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8
14.12.2023
Prof. i.R. Dr. Reinhard Pfriem
Was wir von einem Wuppertaler Weltökonomen lernen können
Hans Wolfgang Singer wurde 1910 in Elberfeld geboren und starb 2006 in Brighton. Sein Vater Heinrich, ein jüdischer Arzt, durch den 1. Weltkrieg gesundheitlich schwer geschädigt, starb im Dezember 1933 im Zuchthaus Münster.
Ebenfalls 1933 verließ Hans Wolfgang Singer Deutschland. Vorher hatte er am Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasium Abitur gemacht, wie ich auch, was ich deshalb erwähne, weil während meiner Schulzeit in den 60er Jahren durch die Schulleitung kein Hans Singer geehrt wurde, sondern der oberste Nazilyriker Will Vesper: das Leben von Vater und Sohn Singer ist eine mahnende Erinnerung an den Faschismus und dessen mangelnde Aufarbeitung in beiden Teilen Deutschlands nach 1945, was wir heute angesichts von mehr als 20 Prozent Umfragestimmen für die AfD nicht vergessen sollten.
Für Hans Singer war die Flucht aus Deutschland Wegbereiter dafür, zu einem international herausragenden Ökonomen zu werden. Joseph Schumpeter, in dessen Bonner Vorlesungen er sich als Medizinstudent hineingemogelt hatte, vermittelte ihn zur Promotion an John Maynard Keynes. Und das war erst der Anfang…
Der Vortrag wird herausarbeiten, dass das wissenschaftliche Lebenswerk und das theoretische Erbe von Hans Wolfgang Singer eine mehr denn je aktuelle Qualifizierung des Etiketts „Herausragender Ökonom“ erforderlich machen: der vom Faschismus Vertriebene machte die globale Ungleichheit und deren Überwindung für eine lebenswerte Zukunft der so bezeichneten Entwicklungsländer zum zentralen Gegenstand seines Schaffens.
Reinhard Pfriem studierte Philosophie und Politikwissenschaft an der Freien Universität in Westberlin sowie Wirtschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum. Nach externer Promotion an der Bergischen Universität Wuppertal 1985 Initiator des Berliner Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW), geschäftsführender Gesellschafter bis 1990. Habilitation bei Prof. Dr. Peter Ulrich an der Universität St. Gallen, dann an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Unternehmensführung und Betriebliche Umweltpolitik. Von 2009 bis 2016 wissenschaftlicher Leiter der Spiekerooger Klimagespräche. Seit 2017 im Ruhestand. Seine neueste Veröffentlichung ist: Die Neuerfindung des Unternehmertums. Solidarische Ökonomie, radikale Demokratie und kulturelle Evolution (Metropolis Verlag 2021).
19.30 Uhr
Forum Robertstraße/Eingang Wilbergstraße 8
17.12.202
Dr. Dieter Nelles / Peter-Paul Prietzel-Düwel
In Gedenken an Dr. Heinrich Singer
Der Elberfelder Arzt Dr. Heinrich Singer wurde am 20. Juli 1933 vom Wuppertaler Landgericht wegen sexuellen Missbrauchs an einem 13jährigen Patienten zu 1 Jahr und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Nach der Verwerfung der Revision beim Reichsgericht in Leipzig wurde er im November 1933 in das Zuchthaus Münster verlegt, wo der schwer herzkranke und haftunfähige Mann am 17. Dezember starb.
Seine Söhne Hans Wolfgang und Walter Singer kämpften bis 1965 vergeblich um die Rehabilitierung ihres Vaters. Juristisch war der Fall nicht mehr zu klären, weil der einzige Belastungszeuge 1945 in Gefangenschaft gestorben war und somit nicht die Möglichkeit bestand, in einem Wiederaufnahmeverfahren seine Aussagen zu entkräften.
Aber es spricht vieles dafür, „dass das Klima des Prozesses“ wie sein Sohn Hans Wolfgang schrieb, „einen normalen Prozess unmöglich und das Fehlurteil unvermeidlich“ machte
Heinrich Singer wurde erst während der Gerichtsverhandlung inhaftiert. Auf Anordnung des SA-Polizeipräsidenten Willi Veller erschienen zwei Beamte der politischen Polizei, der späteren Gestapo, bei der nichtöffentlichen Sitzung. Der von der Verteidigung bestellte und bekannte Sachverständige Prof. Dr. Marbe, Leiter des psychologischen Instituts der Universität Würzburg, der seine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen vorgetragen hatte, wurde schon nach dem ersten Verhandlungstag entlassen. Stattdessen wurde die Glaubwürdigkeit des Zeugen von drei Personen behauptet, an deren Unvoreingenommenheit sehr starke Zweifel bestehen. Von dem Elberfelder Nervenarzt Heinrich Göring, dem ehemaligen Vorsitzenden des Elberfelder Ärztevereins, Sanitätsrat Schulten, und dem Gerichtsassessor Richard Heix.
Der langjährige Redakteur des Wuppertaler Generalanzeigers Wolfgang Müller schrieb 1954: „Die Anschuldigungen wurden von allen, die den verheirateten Mann kannten, (…) nicht geglaubt. (…) Die Veröffentlichung der Familienanzeige ließ natürlich den gesamten Komplex wieder aufleben. Sie wurde dem Generalanzeiger sehr verübelt“
Bei der Gedenkveranstaltung, die vor dem ehemaligen Haus Singers stattfindet, gehen die Referenten auf dessen Biografie, die Hintergründe des Verfahrens und seinen tragischen Tod ein.
Dieter Nelles ist Vorsitzender des Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V. Er studierte Sozialwissenschaften an der Bergischen Universität Wuppertal und promovierte an der Universität Kassel mit einer Arbeit über den Widerstand der Internationalen Transportarbeiter (ITF). Zahlreiche Veröffentlichungen über den Widerstand und das Exil der deutschen Arbeiter:innenbewegung und die NS-Geschichte in Wuppertal.
Peter-Paul Prietzel-Düwel ist Rechtsanwalt und lebt in Wuppertal
15.00 Uhr
Vor dem Haus Weststraße 6, Elberfelder Südstadt
[1] Nikolaus Wachsmann: Terror gegen links, in: ders./Sybille Steinbacher: Die Linke im Visier. Zur Errichtung der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Göttingen 2014, S. 7-31, hier S. 21f.
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