31.10.2024N. Bernhardt
Verkehrsausschuß: Landrecht für Leihscooter wird beibehalten
Bereits heute ist der Kontrolldruck im Straßenverkehr äußerst gering. Knappe Personaldecke und Kostendruck, wissenschon. Dadurch wird ein „Knöllchen“ fürs Falschparken zu einem Sechser im Lotto und verkehrswidriges „Parken wo Platz ist“ auf dem Geh- und Radweg zur Regel.
Damit auch unsere Jüngsten sich an dieses Klima mit dem Landrecht gewöhnen, bietet die Stadt seit einem Jahr über die Firmen LimeBike und VOI Leihscooter zum Üben an. Ein Bankkonto reicht, und schon können unsere Jüngsten ab etwa 10 Jahren die Gehwege unsicher machen. Denn auch hier gilt: erwischt zu werden, ist quasi Zufallsprodukt.
Die Unfallopfer bleiben mangels Halterhaftung (§§ 7, 8 StVG) auf ihrem Schaden sitzen. Das gilt für die Oma, die vom 13-jährigen Bengel überfahren wurde und der anschließend Unfallflucht beging ebenso wie für die zahlreichen Scooter, die entgegen den Auflagen der Sondernutzungserlaubnis abgestellt werden. Wer darüberfällt, verstößt halt gegen das Sichtgebot („nicht schneller laufen als man sehen kann“); Blinde müssen eben zu Hause bleiben.
Die demokratische Mehrheit im Wuppertaler Verkehrsausschuß [1] sorgte in der jüngsten Sitzung am 29. Oktober 24 jedenfalls dafür, daß auch künftig die Verleiher nicht einmal das gesetzliche Mindestalter von 14 Jahren sicherstellen können müssen und die zahlreichen Verstöße gegen die Auflagen der Sondernutzungserlaubnis ungeahndet bleiben. Entsprechende Anträge, die Fahreridentität zum Beispiel mit der eID/AusweisApp vor Fahrtantritt festzustellen, oder gefälligst die bestehenden Auflagen der Sondernutzungserlaubnis in bezug auf das Abstellen der Scooter durchzusetzen oder bei wiederholten Verstößen gegen die Auflagen die Erlaubnis zu entziehen, wurden mehrheitlich abgelehnt. [1]
Der Ausschuß hat damit die faktische Immunität der Scooterverleiher bestätigt, denn einen Entzug der Erlaubnis müssen diese offenkundig trotz des Parkchaos’ nicht fürchten. Die lächerliche Anzahl von 315 Verwarnungen [2] gegen die Verleiher spiegeln jedenfalls in keinster Weise die Vielzahl der Leserbriefe und Berichte über behindernde Leihscooter wider.
Ein Bankkonto, das zur Scooterleihe angegeben werden muß, sorgt bestenfalls dafür, daß für die Verleiher die Kohle reinkommt. Zur Feststellung, wer ein Leihscooter zuletzt gefahren hat, ist es jedenfalls so geeignet wie ein Foto von Omas Kaffeekranz als „Abschiedsfoto“ beim Verleihende.
Verweise
[1] VO/0687/24: Einhaltung der Ziffer 4 der Sondernutzungserlaubnis und Entzug derselben bei wiederholten Verstößen. Punkt 4 beschreibt, wo und wie die Leihscooter nach Beendigung des Leihvorgangs abgestellt werden dürfen, vgl. https://www.njuuz.de/home/politik/auf-den-lime-gegangen/
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=31897
Abstimmung:
Ausschuss für Verkehr vom 29.10.2024: Abgelehnt.
Stimmenmehrheit (gegen CDU, Freie Wähler/WfW und DIE LINKE).
VO/0856/24/1:
Punkt 1: Identitätsfeststellung der Fahrzeugführer durch die Verleiher.
Punkt 2: Erhöhung der jährlichen Sondernutzungsgebühr auf 30 Euro pro Jahr und Fahrzeug.
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=32101
Ausschuss für Verkehr vom 29.10.2024
Wie folgt geändert beschlossen:
Punkt 1 wird abgelehnt. Stimmenmehrheit (gegen CDU, FDP und Freie Wähler/WfW, bei Enthaltung DIE LINKE).
Punkt 2 wird beschlossen. Einstimmigkeit (bei zwei Enthaltungen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN).
[2] Jahresbericht zur Pilotphase von Pedelec- und Elektrokleinstfahrzeug-Verleihsystemen in Wuppertal, Vorlage VO/1288/24,
https://ris.wuppertal.de/vo0050.asp?__kvonr=32558
Weiter mit:
Die Entscheidung, erforderliche Maßnahmen nach § 22 Satz 1 StrWG NRW anzuordnen, ist eine Ermessensentscheidung, die nach Maßgabe des § 114 VwGO der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle daraufhin unterliegt, ob die Behörde die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
21
Gemessen hieran hat die Antragsgegnerin ihr Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt. Im Schriftsatz vom 24. Januar 2022 (Bl. 191 f. GA) stellt die Antragsgegnerin wesentlich darauf ab, dass Beseitigungsverfügungen in dem „zeitlichen Kontext nicht zweckmäßig und auch nicht verhältnismäßig“ seien. Durch „die gültigen freiwilligen Selbstverpflichtungserklärungen“ würden „die verkehrssicherheitsrechtlich relevanten Aspekte auch derzeit angemessen berücksichtigt“.
22
Angesichts des Umstandes, dass allein das Fehlen der für die Nutzung der öffentlichen Verkehrsfläche erforderlichen Sondernutzungserlaubnis (formelle Illegalität) zum Erlass von Beseitigungsverfügungen berechtigt,
23
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2020 – 11 B 1459/20 –, juris Rn. 56 und 68,
24
ist der pauschale Verweis auf die vorliegenden Selbstverpflichtungserklärungen nicht ausreichend. Denn es finden sich in der Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin keinerlei Erwägungen zur Belastbarkeit bzw. Tragfähigkeit der Selbstverpflichtungserklärungen. Die „Goodwill-Erklärung“ mit der Fa. U. N1. (dem derzeit zahlenmäßig größten Anbieter) sieht noch nicht einmal konkrete eindeutige Regelungen oder Absprachen im Falle von behindernd abgestellten E-Scootern vor. Dass die Selbstverpflichtungen von den Betreiberfirmen „jederzeit“ (Betreiber U. N1. ) bzw. „innerhalb von 2 Wochen“ (Betreiber M. F. J. M1. und C. T. E. GmbH) widerrufen bzw. gekündigt werden können, wird von der Antragsgegnerin ebenso nicht berücksichtigt. Ebenso drängt sich die Frage auf, ob die Selbstverpflichtungserklärungen ausreichend sind, um die straßenrechtlich relevanten Aspekte effektiv zu regeln. Angesichts des Umstandes, dass die Unternehmen bereits seit längerer Zeit im Stadtgebiet der Antragsgegnerin tätig sind (im Falle des Unternehmens U. N1. bspw. bereits mehr als zwei Jahre), ist davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die effektive Umsetzung der Selbstverpflichtungserklärungen zu prüfen und unter Kontrolle zu halten hat. Hierzu fehlt es allerdings an jedweden Ausführungen.
25
Auch fehlt in der Ermessensausübung jegliche Berücksichtigung der bisher erfolgten Unfälle im Zusammenhang mit den aufgestellten E-Scootern (Bl. 85 ff VV). Nach der Begründung der öffentlichen Beschlussvorlage vom 23. November 2021 (Bl. 2 ff. VV) ist die Antragsgegnerin selber der Auffassung, dass es „immer wieder zu Verkehrsbehinderungen und Gefahrenquellen bis hin zu Unfällen mit Sach- oder Personenschäden“ kommt. Angesichts dessen, dass dies ein zentraler Aspekt für die Entscheidung der Antragsgegnerin ist, in Zukunft Sondernutzungserlaubnisse erteilen bzw. entsprechende Gebühren erheben zu wollen, ist kein Grund ersichtlich, warum dies bei der Ermessensentscheidung über den Antrag auf Einschreiten eines Blinden- und Sehbehindertenvereins unbeachtet geblieben ist.
– Aus: Verwaltungsgericht Münster, Beschluß vom 09.02.2022. – 8 L 785/21 –
(Einstweiliger Rechtsschutz, rechtskräftig)
Kläger: DBSV Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband e.V.,, Berlin.
https://www.dbsv.org/verbandsklageprojekt-2.html#Was
Die Behörde 104 übt das ihr zuständige Ermessen zur Durchsetzung der Auflagen und Bedingungen der Sondernutzungserlaubnis offenbundig bisher gar nicht aus.