07.03.2019

Vor 20 Jahren: „Bürgerbegehren gegen Buskaps“

...und seine bis heute schädlichen Folgen für die Stadt

 

Mit dem Ratsbeschluss eine Bürgerbefragung zur Seilbahn durchzuführen, wird nunmehr zum 2. Mal ein vollständig durchgeplantes ÖPNV-Projekt einer Bürgerentscheidung mit all ihren bekannten Unzulänglichkeiten zugeführt. Die älteren erinnern sich:

Im Jahr 1999 wurde damit begonnen, die in § 8 Abs.3 PBefG normierte Pflicht zur Schaffung vollständiger Barrierefreiheit im ÖPNV bis zum 01.01.2022 umzusetzen und die Bushaltestellen im Stadtgebiet entsprechend umzubauen. Die preisgünstigste Haltestellenorm ist die Fahrbahnrandhaltestelle oder das Buskap, das im Vergleich zu den älteren Busbuchten erheblich weniger Platz erfordert und zur Erreichung eines niveaugleichen Einstiegs erheblich leichter anzufahren ist. Ein erster Bauabschnitt war bereits beschlossen und im Bau. Es stand die Beschlussfassung über einen 2.Bauabschnitt an, wobei die zum Umbau vorgesehenen Haltestellen zuvor auf die verkehrliche Verträglichkeit der Buskap-Lösung untersucht worden waren. Eigentlich eine Routine-Angelegenheit. Zeitgleich gründeten jedoch in Remscheid einige Personen eine Bürgerinitiative gegen den weiteren Haltestellenumbau. Daraufhin witterte eine große Fraktion im Wuppertaler Stadtrat die Chance auf eine „Kampagne“ und initiierte selbst eine „Bürgerinitiative gegen Buskaps“, ein glatter Missbrauch der Gemeindeordnung. Die Argumentation im Verlauf der Unterschriftensammlung beschränkte sich auf das Schlagwort „Verkehrsbehinderung“ und den zu Unrecht beanspruchten Niedlichkeitsfaktor „tapfere Bürger gegen böse Stadtverwaltung“. Um Sachinformation, d.h. einen haltestellenspezifischen Nachweis der „Verschlechterung der Verkehrsqualität“ durch Bushalte auf der Fahrbahn wurde sich gar nicht erst bemüht.

Dazu wurde durch die Formulierung des Abstimmungstextes noch zusätzlich Verwirrung gestiftet. Die Frage lautete „Sind Sie dagegen dass…“ so dass Buskap-Gegner mit „Ja“ und Befürworter mit „Nein“ stimmen mussten.

Da sich die übrigen Ratsfraktionen im Vorfeld der Abstimmung im wesentlichen zurückhielten und die WSW als Nutznießer, wie vermutlich auch diesmal, einen Maulkorb erhielten, stand allein der Fahrgastverband ProBahn der geballten Finanzmacht der „Bürgerinitiative“ gegenüber. Social Media als mögliches Korrektiv für diese Schieflage gab es noch nicht. Dementsprechend war der Abstimmungserfolg der Gegner zu erwarten.

Zu allem Überfluss verkündete der damalige Oberbürgermeister am Tag nach der Abstimmung eine „Neuorientierung in der Verkehrspolitik“ zu Lasten des Umweltverbundes, welche leider bis heute ziemlich konsequent durchgehalten wird:

So wurde eine „Arbeitsgruppe Busbeschleunigung“ von Stadt und WSW ersatzlos aufgelöst. Busspuren wurden aufgehoben oder verkürzt, so dass für zahlreiche Buslinien zusätzliche Ampelwartezeiten und damit immer längere Fahrzeiten einzuplanen waren, die für zusätzlichen Fahrzeugbedarf und damit Mehrkosten sorgten.

Die Ausrüstung der LSA im Stadtgebiet für eine Signalanforderung durch Linienbusse ließ man sich zwar vom Land fördern, jedoch ist diese Anlage seit jeher permanent entweder außer Funktion oder in der Priorisierung deutlich heruntergeregelt.

Dazu wurden bei der Neuplanung von Verkehrsanlagen die Belange des ÖV regelmäßig „gegen übergeordnete städtebauliche oder verkehrliche Erwägungen“ abgewogen und damit hinten angestellt.

Der Busbahnhof am Bf. Oberbarmen geriet selbst für den WSW-Busverkehr zu klein, von einer  sinnvollen Mitnutzung durch Fernbusse ganz zu schweigen.

Am Alten Markt wurden auf Wunsch eines Investors die Haltestellen entfernt und die Endpunkte zum neugebauten Busbahnhof am Bf.Barmen verlegt, verbunden mit längeren Fußwegen für die Fahrgäste und beinahe aberwitzigen Umwegfahrten für die Busse. Daher können nachgefragte Linien wie die Li.608 den neuen Busbf. gar nicht mehr anfahren.

Bei der Neuplanung des Zweirichtungsverkehrs auf dem Südstadtring wurde eine mögliche Bus-Schiene-Verknüpfung am Bf. Steinbeck von vornherein und ohne nähere Begründung nicht weiter verfolgt.

Den traurigen Höhepunkt markiert der neue Döppersberg mit seiner ausschließlichen IV-Orientierung, ohne Busspuren und einem Busbahnhof der zwar städtebaulich gefällt, aber nur über eine einzige Zufahrt mit zahlreichen unkoordinierten LSA verfügt. Dazu ist auch dieser Busbf. zu klein dimensioniert, er benötigt zusätzlich einen abgelegenen „Pausenplatz“ und erzeugt insgesamt jährlich 80.000 nutzlose Leerkilometer.

Schließlich wurden den Fahrgästen in 2012 und 2018 umfangreiche Angebotskürzungen zugemutet, wobei u.a. das einmal vorbildliche CE-Netz im wesentlichen beseitigt wurde.

Auch die gesetzliche Frist zur Herstellung der Barrierefreiheit lässt man ungerührt verstreichen, ein Haltestellen-Umbau-Programm, welches die Versäumnisse evtl. noch aufholen könnte, ist nicht in Sicht, stattdessen begnügt man sich gegenwärtig mit der Feststellung „Das Datum 01.01.2022 kann ja ohnehin nicht eingehalten werden“, legal, illegal…

Die Nahverkehrsplanung war nach Erstellung des ersten durchaus engagierten Nahverkehrsplans 1998 „eingeschlafen“, doch anstatt zumindest dessen Vorschläge abzuarbeiten, wird derzeit ein neuer Plan erarbeitet, der tendenziell eher hinter den Aussagen des ersten zurückbleiben soll.

Dennoch gab es auch positive Entwicklungen wie die Inbetriebnahme der S 9 und demnächst der S 28, diese sind jedoch der Stadt Wuppertal bestenfalls „passiert“ und nicht auf aktives Handeln der Stadt zurück zu führen. Insbesondere die Regiobahn-Verlängerung ist ausschließlich dem Engagement des Kreises Mettmann zu verdanken!

All dies hat dazu geführt, dass unser ÖPNV von einem damaligen Vorzeigebetrieb zum gern zitierten Negativbeispiel im Vergleich mit anderen Städten verkam. Als Folge davon wurde die Stadt in zahlreichen Rankings nach unten durchgereicht, während Städte, die in den Ausbau des ÖPNV investierten z.B. Karlsruhe, Freiburg, auch Düsseldorf trotz der hohen Mieten, und auch in Ostdeutschland, bei der Bewertung der Lebensqualität davonzogen.

Zwar konnten die Fahrgastzahlen einigermaßen gehalten werden, dies ist jedoch wesentlich der auch in Wuppertal guten Konjunkturlage geschuldet. Wären Qualität und Quantität auf dem Stand von vor 20 Jahren verblieben, könnten wir uns über einen Fahrgastzuwachs freuen, der Diskussionen um Fahrverbote gar nicht erst hätte aufkommen lassen.

Es muss also verhindert werden, dass ein ggfs. negatives Seilbahn-Votum erneut als Rechtfertigung für eine nochmalige Schwächung des ÖPNV insgesamt interpretiert wird und den Fahrgästen weitere erhebliche Benachteiligungen zugemutet werden. Nach 20 für den ÖPNV verlorenen Jahren können wir uns eine weitere Rückentwicklung einfach nicht mehr leisten.

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