Was zählt kommunale Demokratie?
Das wirft Fragen auf.
Grundsätzlich: Wenn es um darum geht, dass das „öffentliche Wohl das oberste Gebot“ sei, wie es über der Tür des Ratssaales steht (Salus publica suprema lex), dann gibt es selbstverständlich erst einmal je nach Interessen unterschiedliche, ja gegensätzliche Auffassungen, was dieses öffentliche Wohl sei. Im besten Falle stellt sich das öffentliche Interesse nach einer Debatte im demokratischen Konsens heraus. Politische Parteien wirken an dieser Willensbildung mit, aber auch Interessenvertretungen.
Wenn also jetzt ein vielstimmiger Chor zur Einigkeit im Rat aufruft, gehört das zum politischen Verfahren. Und andererseits ist das Scheitern eines nominierten Kandidaten keinesfalls „für Wuppertal eine Katastrophe“ oder ein „verheerendes Bild für die Stadt“ sondern gehört zum politischen Verfahren in der Demokratie.
Repräsentative Demokratie bedeutet nicht, wie der SPD-Fraktionsvorsitzende Reese scheinbar meint, der Rat ohne Rücksicht auf die öffentliche Debatte entscheidet. Es ist vielmehr genau diese politische Selbstherrlichkeit, die die Fraktionsführungen von SPD CDU und FDP scheitern ließ. Die Gesprächsangebote der Fraktion Die Linke an die Briefschreiber bleiben bisher unbeantwortet.
Es geht um das Demokratieverständnis, das sich in einem Führungsstil auch gegenüber den eigenen Leuten zeigt. Statt über den Schaden für die Stadt zu spekulieren und ihn damit herbeizureden, müssten die Fraktionsvorsitzenden der GroKo+ sich fragen lassen, warum sie das Vertrauen in ihren jeweiligen Fraktionen verloren haben. Und sie müssten daraus Konsequenzen ziehen. Der selbstherrliche Stil, der nur Kadavergehorsam von Parteisoldaten duldet, ist zuerst in der CDU an ein Ende gekommen, die sich bekanntlich schon spaltete, in der OB-Wahl Uneinigkeit über die Eignung des eigenen Vorsitzenden, in der Nominierung eines nicht der eigenen Partei zugehörigen Kandidaten und schließlich im Bruch des Wahlbündnisses mit den Grünen zeigte. Er ist auch in den anderen Fraktionen aus der Zeit gefallen.
Es geht nicht um Ränkespiele in einem abgeschotteten Ratssaal. Vor allem in den jüngeren Teilen der Stadtgesellschaft macht sich das Gefühl breit, dass es so nicht weitergehen kann und es sich hier um „Machtpolitik mit dem Mief des letzten Jahrhunderts“ handelt. Die Wirtschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Umbau, der viele verunsichert. Die aktuellen Mega-Themen Klimagerechtigkeit (fridays für Future), Gendergerechtigkeit (#metoo), Soziale Gerechtigkeit (Migration) sind aufgeworfen, die Antworten aber durchaus unklar (Thomas Piketty, Eine kurze Geschichte der Gleichheit). Am ehesten ist noch die Genderfrage in den Repräsentativgremien vertreten und mit gewissen Traditionen, Fakten, Argumentationssträngen auch sprechfähig; es ist daher kein Wunder, dass hier das Einheitsmodell à la GroKo zuerst gescheitert ist.
Es wird auch weiterhin Differenzen im Stadtrat und in der Stadtgesellschaft geben, auch bei den Großprojekten BUGA, Pina-Bausch-Tanzzentrum, Gerechtigkeitsthemen, Innenstadtentwicklung usw. Das muss und wird sich weiter im Stadtrat abbilden und sollte nicht durch Gruppen zur Bedrohung für die Stadtentwicklung stilisiert werden, die über wirtschaftliche Macht, Medienzugang und Positionen verfügen.
In der aktuellen Auseinandersetzung um die Beigeordneten stimme ich ausdrücklich den Bürgervereinen zu, die zu einer sehr weitgehenden Neuordnung auffordern: “Logisch zusammengehörende Einheiten müssen zusammengeführt und die gewählten Führungskräfte müssen sinnvoll eingesetzt werden. Neue Dezernentinnen und Dezernenten müssen ausschließlich nach Qualifikation und nicht nach Parteibuch ausgesucht werden.“ Derzeit sind die Verantwortung und die Arbeitsbelastung unter den Beigeordneten mehr als ungleich verteilt und kaum zu begründen.
Im Hinblick auf die Neuausrichtung und Neubesetzung der Wirtschaftsförderung (Beigeordneten-Position, Geschäftsführung, Strategieprozess) ist von allen demokratischen Fraktionen (aber auch den Interessenvertretungen) zu erwarten, dass sie vor den Personalfragen ihre politischen Vorstellungen und vor allem ihre Alleinstellungsmerkmale für Wachstumsimpulse der heimischen Wirtschaft und Arbeitsplätze konkret darlegen. Denn gerade die bei der Wahl gescheiterte GroKo+ ist in den dafür bestimmten und nicht öffentlich tagenden Gremien und Auswahlkommissionen verantwortlich vertreten.
Es ist nicht allein die Verantwortung des Oberbürgermeisters, „für belastbare Mehrheiten bei der Neuordnung des Verwaltungsvorstandes zu sorgen“. Alle demokratischen Fraktionen sind aufgerufen, die Pluralität im Stadtrat endlich anzuerkennen und zum Ausgangspunkt für die Suche nach Gemeinsamkeiten und dem öffentlichen Wohl in den Zukunftsthemen Klimagerechtigkeit, Gendergerechtigkeit, Soziale Gerechtigkeit zu machen. Hier steht die Stadt auch zur Hälfte der Amtszeit des Oberbürgermeisters noch nicht einmal in den Startblöcken.
„Nachdem man jahrzehntelang davon überzeugt war, dass Innovationen dem Privatsektor überlassen werden sollten, fehlt es den Kommunen häufig an der Fähigkeit, Ressourcen und Fachwissen im erforderlichen Umfang zu mobilisieren. Diese verengte Sicht des öffentlichen Sektors hat das Verständnis der politischen Entscheidungsträger, wie Wachstum gefördert werden kann, eingeschränkt und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Regierung geschwächt. Aber welche Fähigkeiten und Strukturen brauchen Kommunalverwaltungen, um ihre eigentliche Rolle bei der Schaffung und Gestaltung von Märkten und der Ermöglichung von Aktivitäten, die sonst nicht stattfinden würden, wahrnehmen zu können? Wie können wir funktionsfähige Kommunalverwaltungen fördern, die Veränderungen antizipieren, einmalige Chancen nutzen und den öffentlichen Nahverkehr pünktlich betreiben?“ (Mariana Mazzucato & James Anderson / Project Syndicate, 4. Juli 2023 Was Kommunalverwaltungen brauchen, um eine Führungsrolle zu übernehmen)
Das Beton-Modell der GroKo, so zeigen verschiedene Abstimmungen und abweichende Minderheitsvoten in den Fraktionen von SPD, CDU und FDP der letzten Zeit, bröckelt und wird nicht mehr in der Lage sein, diese Herausforderungen zu erkennen geschweige anzugehen.
Bernhard Sander
Diplom-Politologe
Weiter mit:
Kommentare
Neuen Kommentar verfassen