31.07.2015talwaerts
Die schwarze Null
Es gibt Jahre, da läuft es einfach nicht rund. Wuppertal im Jahr 2010. Der TV-Moderator Michel Friedmann hat sich ins Bergische verirrt und muss für seine Doku „Eine Stadt kämpft ums Überleben“ nicht lange nach den vermeintlich passenden Motiven suchen: Schon bald tauchen Ruinen, Schulabbrecher und Langzeitarbeitslose plakativ-schaurig vor der Kameralinse auf. Kurz darauf spaziert Oberbürgermeister Jung mit dem Moderator zwischen ein paar Schnapsleichen über den Rathausvorplatz und dabei werden die grausigen Bilder auch gleich mit grausigen Zahlen unterlegt.
„Wie hoch waren die Schulden der Stadt als sie Oberbürgermeister wurden?“, fragt Friedmann. „Etwa 1,1 Milliarden Euro“, antwortet Jung. Friedmann: „Und jetzt?“ Jung: „Knapp zwei Milliarden.“ Friedmann: „Respekt, Sie haben die Schulden in ein paar Jahren glatt verdoppelt.“ Jung: „Das ist ja, was ich immer sage: Wir brauchen nicht nur einen Rettungsschirm für Banken, sondern auch einen für Kommunen.“ Friedmann: „Ja, ja die Welt ist böse.“
Finanztechnisch flankiert diese kurze Interviewepisode tatsächlich ein beispiellos böses Jahr für die Stadt. Niemals vorher oder späte machte Wuppertal mehr neue Schulden als 2010: Mehr als 200 Millionen Euro insgesamt. Das ist ein Minus von mehr als 600 Euro pro Einwohner in gerade einmal zwölf Monaten. Heute, wenige Jahre später, ergibt sich ein anderes, deutlich optimistischeres Bild. Nicht nur die Stadt scheint in ihrer Außenwirkung plötzlich weniger grau zu sein. Auch die Zahlen sprechen eine andere Sprache.
Zwar macht die Wuppertal nach wie vor fleißig neue Schulden. Doch die Summen sind kleiner geworden und der ausgeglichene Haushalt ist in greifbarer Nähe gerückt. 2017 soll es soweit sein. Während in Berlin gerade „die schwarze Null“ – also ein Haushalt ohne neue Schulden – je nach politischer Haltung begrüßt oder verdammt wird, soll auch Wuppertal seinen ausgeglichenen Haushalt bekommen.
Dahinter steckt die große Frage: Muss eine Stadt wie Wuppertal auf liebgewordene Standards verzichten, um finanziell überhaupt handlungsfähig zu bleiben? Oder gibt es eine Alternative? Die finanzielle Zukunft der Stadt hängt vor allem an externen Faktoren. Zum Beispiel am aktuellen Zinssatz. Der Hintergrund: Ähnlich wie ein privater Kreditnehmer, müssen sich auch Städte das Geld für ihre Schulden irgendwo leihen. Immer mehr Kommunen weichen dabei auf sogenannte Kassenkredite aus: Kurzzeitkredite die nicht im Haushaltsplan dargestellt werden müssen und so schneller zu durchzusetzen sind.
Im städtischen Haushaltsplan sind alleine 60 Millionen Euro an Ausgaben für das Begleichen von Zinsen vorgesehen; ziemlich genau derselbe Betrag, den die Stadt auf der Einnahmenseite vom Land im Rahmen des Stärkungspakts erhält. „Rein rechnerisch können bei jedem Zinserhöhung um 0,2 Prozentpunkte Mehrkosten von 3 Millionen Euro auf die Stadt zukommen“, rechnet Nobert Dölle, Ressortleiter Finanzen bei der Stadt Wuppertal, vor, um dann schnell hinzufügen, dass man natürlich Vorsorgen getroffen habe, um das Zinsrisiko zu minimieren.
In der Tat, so wird von anderer Stelle positiv bemerkt, habe die Stadt bei der Aufnahme ihrer Kredite eine professionelle Hand bewiesen und sich dabei im Gegensatz zu anderen Kommunen nicht auf Abenteuer, etwa die Aufnahme von Schulden in anderen Währungen, eingelassen. „Wenn die Stadt es auch weiter schafft, im besten Sinn unternehmerisch zu handeln, sind wir auf einem guten Weg in die Zukunft“, sagt dazu ein Experte aus der Wuppertaler Finanzwirtschaft. Bernhard Sander, stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei im Wuppertaler Rat, steht solchen Aussagen kritisch gegenüber.
In einer Pressemitteilung hat Sander vor kurzen angemerkt, dass der ausgeglichene Haushalt doch gar kein Verdienst der Kämmerei, sondern des Niedrigzins` und der allgemein guten Konjunktur in Deutschland zuzuschreiben sei. „Und dazu ist der ausgeglichene Haushalt kein Selbstzweck sondern vor allem eine Vorgabe aus Düsseldorf, um am Stärkungspakt teilzunehmen. Was machen wir, wenn die Zinsen wieder steigen?“, fragt der Politiker.
Ein Schuldenschnitt, wie er auch von der Stadt Wuppertal bereits in Form eines Altschuldenfonds einmal laut angedacht wurde, könnte ein Mittel sein, um die Kommunen wieder handlungsfähig zu machen. „Das funktioniert aber nur, wenn gleichzeitig auch ein solides Haushaltskonzept steht“, sagt Betzer.
„Es kann durchaus ein Vorteil sein, wenn der Entschuldungsprozess weitgehend getrennt von Partei- und Lobbyinteressen durchgeführt wird“, sagt Betzer. Wie so etwas aussehen kann, zeigt die Kleinstadt Niedeggen am Rand der Eifel, die wie Wuppertal am NRW-Stärkungspakt teilnimmt. Als sich die dortigen Parteien weigerten, bestimmte Sparmaßnahmen umzusetzen, schickte die Bezirksregierung kurzerhand einen Kommissar, der auch gleich den passenden Namen trug: Ralph Ballast. Dieser Verwaltungsmann traf nun anstelle des Rates allerhand Sparentscheidungen, die den Politikern zu unpopulär waren: In der beliebten Ferienstadt wurde so die Hundesteuer drastisch erhöht und eine Zweitwohnsitzsteuer für Dauercamper eingeführt.
Nach ein paar Monaten fuhr Ballast wieder nach Hause und die Politiker kehrten mit der Gewissheit in den Rat zurück, im Zweifel schnell einen Schuldigen für die Misere in der Stadt benennen zu können: Ballast. Ein Model für Wuppertal? Eher nicht. Denn in der Stadt ist man durchaus aktiv, wenn es ums Sparen geht. Und so finden sich im Haushaltssicherungskonzept neben signifikanten Personaleinsparungen im öffentlichen Dienst auch Details, wie etwa die Einführung einer Abgabe auf Sportwettbüros oder eine Erhöhung der Vergnügungssteuer. Ob das gute oder schlechte Maßnahmen sind? Ansichtssache. Immerhin wird ein Mann wie Ralph Ballast vorerst wohl nicht nach Wuppertal kommen. Zwei Milliarden Euro Schulden sind schließlich auch Ballast genug.
Text: David Fleschen
Der Artikel ist ein gekürzter Auszug aus der neuen Ausgabe der talwaerts, Wuppertals Wochenzeitung. Den vollständigen Artikel lesen Sie in der neuen Ausgabe, die immer freitags erscheint. Überall, wo es Zeitschriften gibt und unter www.talwaerts-zeitung.de
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Der Autor trennt in seinem Text leider die Themen Haushaltsausgleich und Schuldenabbau nicht sorgfältig und sorgt so eher für Verwirrung. Der Haushaltsausgleich ist aufgrund massiver Einschnitte in der Kommune und der Multimillionen-Liquiditätshilfe des Landes NRW in greifbarer Nähe. Haushaltsausgleich bedeutet, dass die Schulden nicht weiter steigen. Das ist bisher noch der Fall. https://www.wuppertal.de/rathaus/onlinedienste/ris/getfile.php?id=179550&type=do Diese Schulden tauchen selbstverständlich auch im Haushaltsplan der Stadt auf.
An einen Abbau der Schulden, insbesondere der mittlerweile über 1,5 Milliarden Euro Kassenkredite, aus eigener Kraft, ist nicht zu denken. Bei einem Zinssatz von 2 Prozent und einer monatlichen Tilgungsrate von 4,5 Millionen Euro bräuchte man etwa 100 Jahre, um die Wuppertaler Schulden abzutragen. http://www.buergerhaushalt-wuppertal.de/wp/2012/02/100-jahre-sparsamkeit-oder-wettstreit-um-politische-alternativen/ Das ist keine realistische und sinnvolle Perspektive
Eine Altschuldenhilfe des Bundes für hochverschuldete Kommunen sei dringend erforderlich, bevor die Lage außer Kontrolle gerate, konnte man vor der letzten Bundestagswahl auf der Webseite der Stadt lesen https://www.wuppertal.de/pressearchiv/meldungen-2013/august/102370100000517401.php. Im November 2014 wurde die Forderung nach einer Lösung des Altschuldenproblems im „Kaiserslauterer Appell“ des „Aktionsbündnis: Für die Würde unserer Städte“- unter maßgeblicher Beteiligung unseres Oberbürgermeisters – deutlich formuliert und begründet: „Ein Schuldenabbau würde selbst bei einem Verzicht auf sämtliche sogenannten freiwilligen Leistungen wie beispielsweise für Kultur und Sport mehrere Generationen belasten und vielerorts gar nicht möglich sein.” http://www.buergerhaushalt-wuppertal.de/wp/wp-content/uploads/2014/11/14-11-21-Kaiserslauterer-Appell.pdf
Bisher ist leider nicht erkennbar, dass sich unsere Bundestagsabgeordneten Hardt, Hintze und Zöllmer die Forderung der Stadt Wuppertal nach einem Altschuldenfonds des Bundes zu eigen machen und tatkräftig unterstützen. Dies könnte dann zur Folge haben, dass die Wuppertaler die größtenteils durch Bundes- und Landesgesetze verursachten kommunalen Schulden über Generationen hinweg alleine abzahlen müssen.