16.12.2024N. Bernhardt
„Dynamische“ Strompreise zahlen sich nicht aus
Der Handel mit Grundnahrungsmitteln wie Mais, Reis und Getreide hat in der Vergangenheit bereits für Unbeständigkeit und Inflation und in der Folge zu Aufständen in der ganzen Welt geführt. [1] Der einstmals streng regulierte Handel mit lebenswichtigen Rohstoffen wurde im Jahr 2000 durch die Regierung Clinton mit dem Commodity Futures Modernization Act of 2000 (CFMA) [2] aufgehoben, der Spekulation mit Grundnahrungsmitteln Tür und Tor geöffnet. Nun „dürfen“ sich deutsche Stromverbraucher ab 2025 an diesem Börsenmodell beteiligen.
In einem normalen Markt regeln Angebot und Nachfrage die Preise. Wenn die günstigsten Packungen Mehl und Milch verkauft sind, werden die dann verfügbaren, teureren Pakete nachgefragt. Anders bei der Europäische Strombörse.
Die Europäische Strombörse EEX [3] entstand wie das CFMA um 2000 herum. Gehandelt wird dort „gesetzlich“ nach dem Meistausführungsprinzip [4]: Zuerst werden dort die Bestellungen gesammelt, wer gerne eine Packung Mehl oder Megawattstunde hätte. Ausgehend von der billigsten Packung Mehl wird dann hypothetisch ausgerechnet, was der Abnehmer der teuersten Packung im Supermarkt bezahlen müßte. Dieser Preis wird dann für jede Mehlpackung als Abnahmepreis festgelegt.
Der Anbieter des günstigsten Stroms macht also den meisten Gewinn und der Endverbraucher ist der Gefoppte. Politischschwaflerig wurde uns vermärchenprinzt, die Gewinne kämen den Anbietern erneuerbarer Energien zugute. Gegen Öko kann ja wohl niemand sein.
Lernten wir in der Schule nicht etwas von sozialer Marktwirtschaft in Deutschland, oder von Zockerparadies? Welche Lobby schreibt hier die Gesetze?
Die zockerlose Zeit ist vorbei
Bisher beinhalten die Stromkosten einen monatlichen Grundbetrag für die Fixkosten des Anbieters sowie einen Preis pro Kilowattstunde (kWh) abgenommenen Stroms. Der klassische Ferraris-Zähler [5] wird einmal im Jahr abgelesen und das Risiko von Strompreisschwankungen trägt der Anbieter, der sich hauptsächlich über Langfristverträge absichert. Dieses Prinzip hat über 100 Jahre lang funktioniert.
2016 wurde imzuge der „Digitalisierung der Energiewende“ unter der Obhut des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Energie, Sigmar Gabriel, das Meßstellenbetriebsgesetz [6] in die Welt gesetzt. Damit wird den Verbrauchern nach Salamitaktik spätestens bis 2032 der Zwang auferlegt, digitale Blackboxen aka „moderne Messeinrichtung“ oder dumpfbräsig „Smart Meter“.
Diese Blackboxen ermöglichen erst das (Ab-) Zocken der Verbraucher mit „dynamischen Stromtarifen“ (A), die zufällige Meßabweichung durch Auswahl geeigneter Geräte (B) und die „gesetzliche“ Abzocke mit eingespeistem Sonnenstrom aus dem Balkonkraftwerk (C).
(A) Anreiz für Mißbrauch? – Sieh mal einer guck!
Der „dynamische Stromtarif“, den Stromanbieter „gesetzlich“ ab 2025 anbieten müssen, soll Strom billiger machen, wenn viel Wind und Sonne zur Verfügung stehen. Und natürlich teurer, wenn nicht.
Problem 1: Die wenigsten Verbraucher sind Zocker und als solche gewohnt, stündlich im Internet nach dem aktuellen Strompreis zu suchen. Das ganze Börsen- und Smartmetergedöns frißt nebenbei selbst Unmengen an Strom. Auf der anderen Seite gibt es Dinge, die lassen sich nicht einfach verschieben, wie die Dusche am Abend oder Morgen, das Laden des E-Autos in der Nacht, der Betrieb der Waschmaschine tagsüber oder am Wochenende, wenn man endlich zu Hause ist.
Problem 2: Der Verbraucher kommt aufgrund der hohen Fixkosten von 19,6 Cent auf die Kilowattstunde [8] nicht in den Genuß von Null-Euro-Strom, während Preissteigerung plus Märchensteuer voll durchschlagen. Erst recht kann er keine Megawattstunden billig kaufen und sich diese für den Rest des Jahres in den Keller stellen.
Grundlage für den dynamischen Tarif sind „gesetzlich“ veranlaßte Umlagen, Abgaben und Steuern (genaueres unter [7]), die Verivox inklusive „Service- und Vertriebskosten“ des Anbieters mit aktuell 19,6 Cent pro Kilowattstunde netto [8] errechnet hat. Dazu kommt der variable Teil, der sich aus dem stündlichen Preis der European Power Exchange (EPEX-Spot Day-Ahead) ergibt.
Seltsame Zustände bei angeblicher „Dunkelflaute“
Der börsengehandelte Strompreis lag am Donnerstag (12.12.24) zwischen 17 und 18 Uhr bei 936 Euro je Megawattstunde – rund dem zehnfachen des üblichen. [9] Macht zuzüglich Fixkosten und Mehrwertsteuer 134,71 Cent pro Kilowattstunde, während Beschaffungskosten von 0 Cent/kWh bei viel Wind und Sonne immer noch mit 19,6 Cent/kWh zu Buche schlagen.
Zur gleichen Zeit lagen Kapazitäten zwischen 8 bis 11 Gigawattstunden bei Kohle- und Gaskraftwerken brach. Die Bundesnetzagentur „prüft“ [9]; der betrogene Verbraucher geht leer aus, denn ein eventuell fälliges Bußgeld geht an die Staatskasse. Das seltsame „gesetzliche“ Preisprinzip der Leipziger Strombörse schafft jedenfalls Anreize für Mißbrauch.
Praxisbeispiele: In der texanischen Stromkrise des Winters im Februar 2021 schossen die dynamischen Preise pro Megawattstunde für rund 95 Stunden von 25 auf rund 9.000 US-Dollar. Die zu zahlende Summe der Beispielrechnung [10] für Musterfirma „Max‘ Strudel Hut“ lag dabei 34-fach über dem erwarteten Betrag: 572.550 anstelle der erwarteten 16.800 US-Dollar. Kriegsveteran Scott Willoughby zahlte mit 16.785 US-Dollar das 70-fache und opferte damit seine letzten Ersparnisse. [11] Bereits Mitte August 2020 lagen angesichts der Hitzewelle und stromfressender Klimaanlagen in Kalifornien die Preise bei 1.800 US-Dollar pro Megawattstunde. [12]
In Deutschland hätte Kriegsveteran August R. aus Sottrup-Höcklage [13] für seine Weihnachtsbeleuchtung mit 190 Flakscheinwerfern des Typs „Varta Volkssturm“ zur Begleichung seiner Stromrechnung nach Tarif „StenkelDyn“ sein Haus verkaufen und seine letzten Tage beim Vorstandsvorsitzenden Teller waschen dürfen. [13]
(B) Neue Probleme wie „freidrehende“ Meßdifferenzen werden durch Smartmeter erst geschaffen
Problem 3: Mit der „gesetzlichen“ Einführung der elektronischen Zähler werden zahlreiche Probleme erst geschaffen (kennen wir das nicht von der neuen Schwebebahn?):
– Der dynamische Tarif erfordert einen Smartmeter, der lückenlos die abgenommene Leistung mißt und die Stromverbrauchsdaten per Internet pp. an den Stromversorger überträgt. Wer glaubt, damit seine Datenhoheit zu behalten, glaubt auch an den Weihnachtsmann.
– Der dadurch erschaffene Datenhaufen im Vergleich zu einem jährlichen(!) Zählerstand ist immens. So ist zum Beispiel das laufende Fernsehprogramm feststellbar [14] (obwohl „Smart TV“ heute gleich wesentlich mehr Daten nach Hause telefonieren [15]).
– Mit dem Smart-Meter kann der Anbieter den Strom passenderweise gleich aus der Ferne abschalten, gesetzliche Hürden hin oder her. Die WSW verschicken jedenfalls Mahnungen mit Androhung der Stromsperre als Standardfloskel, selbst wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür gar nicht erfüllt und die Forderungen in der Höhe unberechtigt sind. Nachweise liegen dem Autor vor. Mit Androhung der Stromsperre wird ein unzulässiger psychologischer Druck erzeugt, vergleichbar mit den Abzockern, die einem für vorgeblich kostenfreie Software ein Zweijahresabo reindrücken und mit Inkasso, Anwalt und angedrohtem Schufa-Eintrag durchboxen wollen.
– Nach einer Studie im Rahmen des Projekts „Detective“ vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung unter 1.600 deutschen Haushalten ist im Schnitt eine Stromersparnis durch die Nutzung von Smart-Metert nicht feststellbar. [16]
– Die Ausstattung aller 41,3 Millionen deutscher Haushalte mit Smart-Metern im Vergleich mit dem Ferraris-Zähler erhöht den jährlichen Stromverbrauch zwischen 495,6 und 1528,1 Gigawattstunden. [17] Hinzu kommt die nötige Infrastruktur in Form Millionen Smartfons und PCs, um den Verbrauch und aktuellen Preis auch stets im Auge zu behalten. Die Millionen verzweifelter deutscher Verbraucher und Behandlungskosten für die daraus resultierenden Depressionen können gar nicht beziffert werden. Gedanken um den Strompreis muß der Kunde aktuell gar nicht verschwenden.
Meßabweichung bis 582 Prozent über dem tatsächlichen Verbrauchswert
– Professor Frank Leferink von der Universität Twente hat 2017 neun in den Niederlanden amtlich zugelassene „Smart Meter“ auf Meßfehler getestet. Fünf davon zeigten einen erheblichen Mehrverbrauch von bis zu 582 Prozent über dem tatsächlichen Verbrauchswert an, zwei bis zu einem Drittel weniger. Man könnte diese „Smart Meter“ auch „Bescheißeinrichtungen mit amtlicher Zulassung“ nennen, gegen die sich Verbraucher nicht wehren können.
(C) Zeter und Mordio: Der Ferraris-Zähler könnte mit dem Balkonkraftwerk rückwärts laufen.
Ein Ferraris-Zähler ist grundsätzlich geeignet für ein Balkonkraftwerk mit Schukosteckdose – allerdings könnte der Zähler bei eigenverbrauchtem Sonnenstrom nicht nur langsamer, sondern auch rückwärts laufen. Das kann und darf nach Willen des Gesetzgebers und des Stromanbieters nicht sein, der gerne zusätzlich für Braunkohlestrom mit Öko-Zertifikat aus Island mehr kassiert, für von seinen Kunden eingespeisten Sonnenstrom aber lieber nichts bezahlt.
Zusammenfassung
Strom ist kein Spekulationsobjekt. Strom ist lebensnotwendig, gerade in einer „digitalen“ Welt. Die Verlierer sind die Endverbraucher.
Strom sparen kann man mit sog. Stromzählern für die Steckdose, die es seit Jahrzehnten gibt und auch bei den Verbraucherzentralen und der Wuppertaler Stadtbibliothek zum Verleih vorgehalten werden.
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Abbildung: Zockermentalität auf dem deutschen Strommarkt 2021
Verweise, Quellen, Hinweise
[1] Boom und Crash – Wie Spekulation ins Chaos führt;
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Boom_und_Crash_%E2%80%93_Wie_Spekulation_ins_Chaos_f%C3%BChrt
Auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=HJ4o1dtPluk
[2] Wikipedia, Commodity Futures Modernization Act of 2000 (englisch),
https://en.wikipedia.org/wiki/Commodity_Futures_Modernization_Act_of_2000
[3] Wikipedia: European Energy Exchange,
https://de.wikipedia.org/wiki/European_Energy_Exchange
Zitat: „Die EEX (bzw. die Börse selbst) unterliegt als öffentlich-rechtliche Institution dem deutschen Börsengesetz.“
Wikipedia: Strombörse,
https://de.wikipedia.org/wiki/Stromb%C3%B6rse
[4] Wikipedia: Meistausführungsprinzip,
https://de.wikipedia.org/wiki/Meistausf%C3%BChrungsprinzip
[5] Wikipedia: Ferraris-Zähler,
https://de.wikipedia.org/wiki/Ferraris-Z%C3%A4hler
[6] Wikipedia: Meßstellenbetriebsgesetz,
https://de.wikipedia.org/wiki/Messstellenbetriebsgesetz
https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s2034.pdf#__bgbl__%2F%2F*%5B%40attr_id%3D%27bgbl116s2034.pdf%27%5D__1734264901438
[7] Wikipedia: Strompreis
https://de.wikipedia.org/wiki/Strompreis#Umlagen
[8] Dynamische Strompreise zahlen sich nicht aus, vom 15.12.2024, 02:06 Uhr
https://www.n-tv.de/ratgeber/Dynamische-Strompreise-zahlen-sich-nicht-aus-article25432996.html
[9] Strompreis explodiert: Netzagentur prüft Missbrauch, vom 13.12.2024, 18:47 Uhr
https://www.n-tv.de/wirtschaft/Strompreis-explodiert-Netzagentur-prueft-Missbrauch-article25431489.html
[10] Severin Borenstein, Faculty Director of the Energy Institute at Haas: „Texas, Hedg’Em“, WordPress-Artikel vom 15. März 2021 (englisch),
Rechnung: Der Kunde „Max‘ Strudel Hut“ bezieht für den Februar 672 Megawattstunden (MWh) zu je 25 US-Dollar, sowie für 95 Stunden zusätzlich 61.75 MWh zu einem Preis von 9000 US-Dollar pro Megawattstunde. Während die Monatsrechnung für den günstigen Strom 16.800 US-Dollar ausmacht, sind alleine für den Extratarif 555.750 US-Dollar fällig – insgesamt 572.550 US-Dollar, 34-Mal höher als die erwartete Summe.
[11] New York Times, 20. Februar 2021: „His Lights Stayed on During Texas’ Storm. Now He Owes $16,752.“
https://www.nytimes.com/2021/02/20/us/texas-storm-electric-bills.html
[12] FINAL: Root Cause Analytics of the Mid-August 2020 Extreme Heat Wave
https://www.caiso.com/Documents/Final-Root-Cause-Analysis-Mid-August-2020-Extreme-Heat-Wave.pdf
[13] Stenkelfeld: Weihnachtsbeleuchtung. Aus: Stenkelfeld, eine Hörspiel-Reihe des NDR.
https://www.familie-ahlers.de/witze/stenkelfeld/weihnachtsbeleuchtung.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Stenkelfeld
[14] Heise: Smart Meter verraten Fernsehprogramm, 20. September 2011,
https://www.heise.de/-1346166.html
Datenschutz Kanton Thurgau: Können neue Smartmeter das eingestellte Fernsehprogramm erkennen?, 17. Nobember 2015,
https://www.datenschutz-tg.ch/ds/konnen-neue-smartmeter-das-eingestellte-fernsehprogramm-erkennen.html
[15] Das Projekt AGF Smart Meter, AGF Videoforschung GmbH, Frankfurt am Main,
https://www.agf.de/daten/agf-smart-meter
Heise: „Moderne Datenkraken: Smart-TVs tracken sogar HDMI-Inhalte“, 25. Oktober 2024,
https://www.heise.de/-9994787.html
[16] DIRECTIVE – Energieeinsparung durch Digitalisierung, Laufzeit: Juli 2020 – September 2022;
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung GmbH, Berlin;
https://www.ioew.de/projekt/detective_energieeinsparung_durch_digitalisierung
[17] Zugrundegelegt wird ein jährlicher Stromverbrauch für einen Ferraris-Zähler mit 13 kWh/a, für einen Smart-Meter zwischen 25 und 50 kWh pro Jahr. Quelle:
https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/5750/publikationen/2021-05-06_cc_34-2021_umweltwirkungen_smart_meter.pdf
[18] University of Twente: Electronic energy meters’ false readings almost six times higher than actual energy consumption, 3 March 2017
https://www.utwente.nl/en/news/2017/3/313543/electronic-energy-meters-false-readings-almost-six-times-higher-than-actual-energy-consumption
Heise: Smart Meter messen oft falsch, 06. März 2017,
https://www.heise.de/-3644942.html
Hinweis: Im Artikel wird vorausgesetzt, daß der Netzbetreiber auch der aktuelle Stromlieferant ist (Beispiel: WSW AG, WSW Netz GmbH).
Lektüre: Bundesverband Verbraucherzentralen: Wie verbraucherfreundlich sind dynamische und variable Stromtarife? (PDF) – Oktober 2024
https://www.vzbv.de/sites/default/files/2024-10/2024_VZBV Dynamische Tarife_final_0.pdf
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