Goldene Salamischeibe für reduziertes Ticketangebot beim Fahrer

„Geändertes Sortiment beim Ticketkauf im Bus“ sorgt für drei Sekunden* weniger Dieselbus-Leerlauf pro Kauf – riesiger Nutzen für die Umwelt erwartet

Ab Anfang September 24 gibt es in den WSW-Bussen nur noch Einzel- und Fahrradticket. Punkt. [1] Wer dann noch als Gelegenheitsfahrgast ein günstigeres Viererticket braucht, soll entweder mehr bezahlen (Einzelticket) oder sich gefälligst zu einem Automaten oder ins MobiCenter quälen – obwohl die Tickets vom Busfahrer schon lange nicht mehr fertig gedruckt mitgeführt werden, sondern einfach per Touchscreen aus dem Thermodrucker kommen.

Das „geänderte Sortiment“ hatten wir schon einmal, nämlich in Zeiten in denen Fahrkarten auf recycelbaren Karton gedruckt wurde anstatt auf fragwürdigem Thermopapier [2]. Während es in Wuppertaler Bussen nur das Einzel- oder vielleicht noch Tagesticket gab, fuhren die Remscheider Kollegen noch mit Fahrkartenbüchern zum Abreißen herum. Da gab es zu jedem Tarif Vordrucke, und die galt es mit der Angebotseinschränkung zu reduzieren.

Virtuelles Ticket in der App – einfacher für wen eigentlich?

Der Hinweis auf die „WSW-App“ darf natürlich auch nicht fehlen. Während der Busfahrer künftig statt zwei nur noch eine Taste drücken muß, um ein Ticket zu drucken, verzweifeln stattdessen tausende WSW-Fahrgäste und -Warter an den unzähligen „Handy-Tarifen“ und angeblich pünktliche Busverbindungen, die dann ausfallen. Dafür gibt’s die Goldene Salamischeibe.

Vorteil Numero 1 des elektronischen/virtuellen Tickets für den Verkäufer: Der Kunde trägt die vollständige Betriebsgefahr: Daß bei der Bezahlung übers Internet nichts schiefläuft. Daß der Betreiber in der Lage ist, das virtuelle Tickets vollständig aufs Mobilgerät zu übertragen. Daß man beten kann, daß bei Verlust oder neuem Telefon die Übertragung klappt. Daß bei funktionierendem Mobilgerät und Funkverbindung bei der Kontrolle das Lesegerät in der Lage ist, den Barcode zu lesen oder das neumodische NFC funktioniert – sonst gilt man strafrechtlich als Schwarzfahrer. [3]

Vorteil Numero 2 für den Verkäufer: Elektronische Tickets sind nicht übertragbar, bzw. es ist sogar untersagt, das Mobilgerät mal eben weiterzureichen. Nicht zu vergessen: die ganze Datenflut an persönlichen Daten bis hin zum persönlichen Bewegungsprofil. Vorreiter für diesen Datenhandel ist hier die Deutsche Bahn.

Der DB Schnüffel-Navigator [4] [5] [6]

Seit Anfang 22 verkauft die Bahn keine Tickets mehr im Zug. Günstige Tickets mit „Bahncard“ gibt’s – blöder Name aber auch – nur noch mit „Bahnapp“. Reisezentren werden geschlossen oder kürzer geöffnet (Wuppertal war mal bis 20 Uhr auf). Selbst ohne „App“ wird man beim Ticketkauf zur Abgabe persönlicher Daten wie E-Mail-Adresse genötigt, was laut DB-Konzerndatenschutz 2023 angeblich „nur optional“ sein sollte.

Es gibt also tausend Gründe, freiwillig oder gezwungenermaßen die Bahnapp zu verwenden, wenn man nicht gleich aufs Bahnfahren verzichten kann. Auf den Handwerker im Haus bezogen sollte das heißen: wenn der sagt, daß ich mein Mobiltelefon mit den E-Mails und Fotos liegenlassen kann, dann hat sich der dafür nicht zu interessieren.

Das ist beim DB Navigator aber nicht der Fall. Die Bahn suggeriert, daß sie den Datenschutz achtet, aber sie tut es nicht. Wenn ich im Kundenzentrum bar ein Ticket kaufe, ist lediglich der DB-Mitarbeiter hinter dem Tresen involviert. Im Schnüffel-Navigator wissen ein dutzend von der Bahn als „erforderlich“ bezeichnete Dritte bis zu zwei Jahre lang Bescheid darüber, welche Tickets ich für welche Personen gekauft [9] und welche Verbindungen ich gesucht habe. [5] [7] Das „Ich habe nichts zu verbergen“ verwandelt sich mit öffentlich verfügbaren Daten [8] dann ganz schnell in ein komplettes Personenprofil mit Einkommen, Beruf, Lebensgewohnheiten, (sexuellen) Neigungen und so weiter.

Bei der nächsten Infrastrukturapokalypse: Papiertickets gegen Bares

Bar bezahlte Tickets auf Papier haben weder ein Datenschutz-, noch ein Infrastrukturproblem. Das sollten neben der Bahn auch die WSW akzeptieren, die neben der Mobilität für Alle auch eine wichtige Rolle in der Verkehrswende spielen.

PS: Aktuell sind ja nur noch rund 250.000 Computer wegen des CrowdStrike-Debakels offline. [10]

Ansicht der WSW-Ticketapp. Keine Internetverbindung, keine AGB, kein Datenschutz, keine Zustimmung des Nutzers – aber schon 885000 Zeichen Benutzerdaten.
Ansicht der WSW-Ticketapp. Keine Internetverbindung, keine AGB, kein Datenschutz, keine Zustimmung des Nutzers – aber schon 885000 Zeichen Benutzerdaten.

PPS: Wieso eine lausige „WSW Ticket v1.9.3“-App 90 Megabyte Speicher belegen muß und dann nicht einmal AGB und Datenschutzregeln anzeigen kann, wissen auch nur die WSW.

Hinweise, Quellen, Verweise

*) hypothetisch.

[1] WSW-Pressemitteilung vom 29. Juli 24, https://www.wsw-online.de/ueber-uns/presse/pressemitteilungen/pressemeldung/meldung/geaendertes-sortiment-beim-ticketkauf-im-bus-einzeltickets-und-fahrradtickets-zum-direkten-fahrtantritt-weiterhin-beim-fahrpersonal-erhaeltlich/

[2] Thermopapier: chemisch und thermisch instabil und nicht recycelbar, Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Thermopapier

[3] Der Autor hat bereits 2016 die „Allgemeinen Geschäftsbedingungen HandyTicket Deutschland“ untersucht. Die nachfolgende Ziffern beziehen sich auf den damaligen Stand.

(1) Daten werden an nicht beteiligte Firmen weitergeleitet (Punkt 1.3, „… IT-Dienstleisters, der HanseCom GmbH, Hamburg, und eines Finanzunternehmens, der LogPay Financial Services GmbH, Eschborn.“). Der Vertrag besteht zwischen dem Verkehrsdienstleister und dem Kunden.

(2) Forderungen werden dann ohne zu fragen an Dritten abgetreten (Punkt 1.4, „… LogPay Financial Services GmbH, Schwalbacher Str. 72, 65760 Eschborn, an welche sämtliche Entgeltforderungen verkauft und abgetreten wurden (Abtretungsanzeige).“)

(3) Registrierung mit persönlichen Daten (Name, E-Mail, Mobilfunknummer, Adresse, Geburtsdatum, Ausweisnummer), die für den Erwerb normalerweise übertragbarer Tickets nicht erhoben werden dürfen (Datensparsamkeit) (Punkt 2.1 der AGB).

(4) Man sucht sich die Kunden aus, ein Anspruch auf Erwerb eines Tickets besteht nicht (Punkt 2.2, „Ein Anspruch auf Registrierung für den HandyTicket-Service besteht nicht.“).

(5) Das Übertragen normalerweise übertragbarer Tickets wird untersagt (Punkt 2.3, „… zu vermieten, zu verleihen, zu verkaufen, zu lizenzieren, abzutreten oder anderweitig zu übertragen.“ sowie 5.5, „ Tickets auf dem Mobiltelefon sind nicht übertragbar.“).

(6) Die Betriebsgefahr trägt alleine der Kunde (Punkt 2.3, „Die WSW mobil GmbH übernimmt keinerlei Gewährleistung bezüglich der Anwendbarkeit und Leistungsfähigkeit von „HandyTicket Deutschland“.“) Der Kunde trägt ebenso die Betriebsgefahr für finanzielle Buchungen beim Finanzdienstleister (Punkt 6.3, „Der Nutzer hat die Umsatzübersicht und die Abrechnung (im Falle von Lastschriftverfahren ist das der Kontoauszug, im Falle von Kreditkartenverfahren ist das die Kreditkartenabrechnung, im Falle des Prepaid-Verfahrens ist das die Umsatzübersicht) sorgfältig zu prüfen und Einwände innerhalb von 6 Wochen nach zur Verfügungstellung der Abrechnung gegenüber der WSW mobil GmbH vorzubringen. Die Unterlassung rechtzeitiger Einwände gilt als Genehmigung.“).

(7) Ist das Verkehrsunternehmen oder der Mobilfunkprovider zu dumm, ein gültiges Ticket vollständig zu übertragen oder dieses auszulesen, haftet der Kunde alleine und wird als „Schwarzfahrer“ gemäß den gesetzlichen Bestimmungen verfolgt und ausgeraubt. Das gilt selbstredend für vom Kunden verursachte Pannen wie leerer Akku etc (Punkt 5.6, „Kann der Nutzer den Nachweis des Tickets bei der Ticketkontrolle wegen Versagens des Mobiltelefons nicht erbringen (z. B. infolge technischer Störungen, leerer Akku etc.) wird dies als Fahrt ohne gültiges Ticket nach den Beförderungsbedingungen und Tarifbestimmungen geahndet.“).

(8) Der Kunde ist im Fall 7 verpflichtet, erneut ein gültiges Ticket zu kaufen (Punkt 5.6, „Für den Fall der Nichtverfügbarkeit, der fehlerhaften bzw. unvollständigen Übertragung des Tickets ist der Nutzer vor Fahrtantritt verpflichtet, anderweitig ein gültiges Ticket zu erwerben.“). In einem praktischen Fall zeigt sich der Schwachsinn dieser Regelung, denn ein Kunde kann nicht im voraus ahnen, daß das Lesegerät (2D Imager) der Kontrolleure das Handyticket (wohl wegen des verspiegelten Displays) nicht auslesen kann. In diesem Fall würde ein zweites gekauftes Ticket auf demselben Mobilfon auch nicht helfen.

(9) Lastschrift: Eine konkludente Ermächtigung zum Lastschrifteinzug wird als erteilt angesehen. Sollte diese Regelung nichtig sein, wird der Kunde umgehend zu einer schriftlichen Erteilung einer Lastschrifteinzugsermächtigung gezwungen (Punkt 7.4).

(10) Durch Installation der App im Handy ist man für die beteiligten Unternehmen jederzeit lokalisierbar (Funkzelle, GPS).

[4] Der Schnüffel-Navigator der Deutschen Bahn.
Kurzinfo bei Digitalcourage: https://digitalcourage.de/db-tracking

[5] Halbstündiges Video vom CCC:

[6] Ein technischer Beitrag zur Schnüffelei: DB Navigator: Datenschutz fällt heute aus – App-Check
https://www.kuketz-blog.de/db-navigator-datenschutz-faellt-heute-aus-app-check-teil1/

[7] Stand 2023 sind das: Adobe Analytics, USA; Crashlytics, Google, Irland; CrossEngage, Berlin,; DB Systel, FFM; DB Vertrieb, FFM; Easy Marketing, Dortmund; Intuition, USA; Optimizely, USA; ualtrics, USA; RiskIdent, Hamburg; Tealium, USA; Verint, Kiel. Vgl. Link [5], bei 6‘28‘‘.

[8] Massenüberwachung als Dienstleistung: Der Handel mit Standortdaten
https://www.kuketz-blog.de/massenueberwachung-als-dienstleistung-der-handel-mit-standortdaten/

[9] Nach Auskunft eines Zuhörers bei [5] umfaßt das auch minderjährige Mitreisende und deren Namen.

[10] https://www.heise.de/news/-9814994.html

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