20.04.2021MKIESEL
Wuppertaler*innen halten sich an die Ausgangssperre
Ja, wer moppern will wird auch in dieser Nacht Sünder und Verweigerer finden. Wer die Stadt beobachtet hat wird jedoch zugeben müssen, dass die Wuppertaler*innen der durch den städtischen Krisenstab verhängten Ausgangssperre Folge leisten. Meine Tour durch die Stadt startete am Montag Abend um 20:30 Uhr am Ehrenberg. Im Auto sitzend höre ich von einem vorbeigehenden Herren „Na, der wird doch nicht die Ausgangssperre vergessen haben?“ Ein auf die Uhr schauender Jogger scheint sein Tempo zu beschleunigen und irgendwie bekommt man auf der Fahrt den Eindruck, als wäre man ein Mensch auf Abwegen. Zweifelnde und strafende Blicke. Oder bildet man sich das nur ein?
20:47 Uhr in Oberbarmen. Berliner Platz. Ein Ort, dem man die Pandemie in den vergangenen Wochen eher nicht anmerkte. Heute Abend lassen sich die auf Busse wartenden Fahrgäste an 2 Händen abzählen. Eine junge Frau erzählt, dass sie keine Meinung zu der Ausgangssperre hat. Ihr sei alles egal. Sie würde sich jetzt einen entspannten Abend machen. Die Art, wie sie es erzählt lässt erahnen, dass sie durchaus eine Meinung hat, diese aber nicht äußern möchte. Ganz anders das Tennager-Paar, beide 15 Jahre jung: „Ich kann seit Monaten nicht Fußball spielen. Die Ausgangssperre ist total unnötig. Die sollen lieber mal 1-2 Monate richtig harten Lockdown durchziehen. Dann kann auch wieder ein richtiges Leben starten. Wenn ich im Sommer nicht in den Urlaub fahren kann, dann werde ich richtig sauer.“ So, wie er es sagt, habe ich daran keinen Zweifel. Seine Freundin belässt es bei einem: „Das sehe ich auch so.“ Da will man die offensichtlich frisch Verliebten auch nicht länger stören.
Ein Schwung von Linienbussen trifft ein, erstaunlich viele Menschen steigen aus und sind in überwiegend schnellem Tempo in den Eingangshallen des Bahnhofs verschwunden. Einige bleiben stehen, weil ein Bautrupp gerade einige Schwebebahnschienen in Empfang nimmt und das Rangieren des Fahrzeugs und des Krans ein eher seltenes Bild bietet.
Ein Bild welches der Taxifahrer Bernhard nicht lange genießen kann. Er wagt keine Einschätzung, ob die Ausgangssperre sich in den Einnahmen und dem Fahrgastaufkommen niederschlägt. „Jetzt um die Zeit kommen ja noch sehr viele von der Arbeit aus dem Bahnhof und haben keine Lust eine halbe Stunde auf den Bus zu warten. Aber die Fahrgäste, welche sich in der Regel nach 23 Uhr von der Kneipe nach Hause fahren lassen, gibt es ja schon seit einem Jahr nicht mehr. Ich lasse mich überraschen. Mal sehen, was die Nacht bringt . . .“ Sagt es und schon erhält er einen Auftrag und düst davon. Dieses Glück teilt er mit seinen 2 mitwartenden Kollegen, welche in Kolonne davonbrausen. zum Leidwesen eines jungen Mannes, der durch den nun leeren Taxistand seine Chance, pünktlich nach Hause zu kommen, dahinschwinden sieht.
2 Damen, 22 Jahre und 35 Jahre, warten noch auf eine Bus. Während die 22jährige sich auf dem Weg zur Nachtschicht befindet, hat die 35jährige Feierabend. Die von ihnen genutzten Sitzbänke trennen nur 5 Meter, die Distanz in der Bewertung der Maßnahme ist deutlich größer. „Das ist völlig unnötig. Eine Ausgangssperre bringt bestimmt keine Zahlen runter. Die Bevölkerung muss an die frische Luft. Mindestens 2 Stunden. Ich kann das jetzt nach 12 Stunden Arbeit nicht“, so die 35jährige. Eine Einschränkung im Privatleben sieht sie zwar nicht, fühlt sich aber durch die Verpflichtung zu Hause zu bleibe benachteiligt. Die Jüngere bedauert lediglich, ihre Eltern nicht besuchen zu können. Auch ihr hat der Arbeitgeber die notwendigen Bescheinigungen ausgestellt. Sie sieht keine Alternative zu einem harten Lockdown.
Die Linienbusse, welche den Ausstieg hinter sich haben, stehen ein wenig verloren und überwiegend menschenleer herum. Eine Ausnahme bildet die Linie 602, welche mehr als gut gefüllt den Berliner Platz verlässt, während der Schwebebahnexpress mit 3 feixenden Jugendlichen davonfährt.
Das Schnellrestaurant leuchtet gewohnt gelb. Man fragt sich für wen. Ich habe ihn gefunden. den Kunden, 23 Jahre, der um mittlerweile 20:58 Uhr draußen auf seine Bestellung wartend erzählt, dass er die Möglichkeit der Gleitzeit genutzt hat um früher Feierabend zu machen. Er hätte auch problemlos bis 22 Uhr arbeiten können, da seine Firma alle für eventuelle Kontrollen notwendigen Bescheinigungen ausgestellt hat. Er empfindet keinerlei Einschränkungen durch die angeordnete Nachtruhe. Er könne alles auch online erledigen. Auch seine Freund könne er im Web treffen. Aber die Ausgangssperre hätte seiner Ansicht nach früher kommen sollen.
Ob das die Gewerbetreibenden auch so sehen, kann an diesem Abend nicht geklärt werden. Der üblicherweise stark frequentierte Dönershop, der Bahnhofbuchhandel und auch die Fast-Food-Kette haben ihre Öffnungszeiten vorsorglich angepasst. 21 Uhr ist Schluss.
Ich setze meine Tour fort, fahre über Wupperfeld nach Barmen. Dort vor mir eine Polizeistreife. Sie halten an. Ich dachte, ich erlebe meine erste Ausgangssperren-Kontrolle und war auch gespannt auf diese. Aber die Beamten sorgten sich um eine humpelnde Taube. Geparkt hinter dem Rathaus sehe ich einen in beide Richtungen menschenleeren Werth. In Worten: 0 Menschen. Um 21:25 Uhr! Gespenstisch. Die farbwechselnden Leuchtkugeln über der Einkaufsstraße wirken auf mich wie flackernde Neonröhren in einem Gruselfilm. Plötzlich 2 Stimmen. 2 Menschen auf den kommoden Drahtkorbgeflechtbänken. Eine mir unbekannte Sprache verleitet mich, sie in Englisch anzusprechen. Wahrscheinlich bescheuert. Dachte ich. Bis mir ein hochdeutsches „Verpiss Dich!“ entgegenhallt. Da wusste ich es.
Weiter über den „Alter Markt“, Barmer Bahnhof (4 leere Busse, keine Menschen), die Siegesstraße, die Oberbergische Straße nach Lichtscheid. Mir begegnet ein Auto. Auch die Tanke hat ein Einsehen und geschlossen. Kaffee ist nicht.
Weiter zur Elias-Eller-Straße bis Ronsdorf-Markt. Tot. Kein Motor. Kein Reden. Kein Lachen. Nichts. Ist das sonst anders hier? Abends um 21:45 Uhr?
Ich fahre weiter. Und wenn Du Dich gerade wie der einsame Reiter fühlst, gute Musik auf WDR 2 (ja, ist selten) hörst und ein Möchtegern-Schumi meint mit quietschenden Reifen seinen aufgemotzten Audi in Wallung bringen zu müssen, bist Du froh, wenn Du im menschenleeren Ronsdorf fluchen kannst, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Weiter über die Erbschlöer Straße, Ronsdorfer Straße nach Elberfeld. Auf der Strecke bis Döppersberg 13 Autos gezählt. Ich werde müde. Bis erneut 2 Herren meinen, den leeren Döpps zum Hockenheimring umwandeln zu müssen. Spätestens hier wünscht man sich die Anwesenheit der Polizei, welche ich im gesamten Abend tatsächlich nur in Sachen Rettung der Taube wahrnehmen konnte. Ordnungsamt habe ich nicht gesehen. Kann ja auch vernünftig sein, den Büger*innen und deren Verantwortungsbewusstsein zu trauen. Vielleicht mag man aber auch nicht Dinge durchsetzen, welche evtl. von Gerichten absehbar kassiert werden?
22:00 Uhr. Über Morianstraße, Blick auf Hochstraße, Gathe und Uellendahler Straße. 3 Autos, 2 Menschen. Ja, Sie haben richtig gelesen. Gathe, 22 Uhr, 2 Menschen.
Rückweg über die Rudolfstraße zum Loh. Sperrmüll. Keine Sperrmüllwühler. 22:12 Uhr Barmen Bahnhof: 4 Busse, 4 Fahrer, keine Fahrgäste. 22:15 Uhr: Alter Markt in alle Fahrrichtungen leer. 22:18 Uhr: Wupperfelder Markt. 1 Flaschensammler. Schaffe es nicht mehr auszurechnen, wieviele Flaschene er sammeln müsste, um 250,– € Bußgeld zu zahlen. Geschweige denn 25.000,– €. Wobei, das ist ja Ermessenssache. Wenn er obdachlos ist, darf er Flaschen sammeln. Hat die Stadt auf Nachfrage von Tacheles e.V. so mitgteilt. Ist er einfach „nur“ arm: Pech gehabt.
Zurück am Berliner Platz. Die Schienenmontage an der Schwebebahn läuft. 2 Menschen warten. Auf Taxen scheinbar nicht, denn 3 stehen am Halteplatz. Auch Bernhard ist wieder vor Ort. Scheint nicht gut zu laufen.
Die nach 22 Uhr hochgeklappten Bürgersteige in Langerfeld kenne ich mittlerweile. Die Tanke hat den Preis für 1 Liter Super E5 auf 1,619 € raufgesetzt. Würde sonst viele aufregen. Heute Abend nicht. Merkt auch der Mitarbeiter in der Nachtschicht, der Zeit zum Regale aufräumen und Putzen hat. Wer soll sich heute schon über Spritpreise aufregen? Ist ja keiner unterwegs. Die Nacht wird sich wahrscheinlich für den Pächter nicht rechnen. Aber irgendwie freue ich mich über ein Stück Normalität in dieser Geisterstadt. Und fahre nach Hause. Ist ja Ausgangssperre. Und denke mir so . . . Wenn diese Maßnahme nichts bringt, und es gibt ja durchaus Wissenschaftler welche sich in diese Richtung äußern, an den Wuppertaler*innen liegt es bestimmt nicht. Gute Nacht . . . und . . . erhol Dich, Wuppertal!
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